Auszüge aus dem neuen Buch “Nient’altro che la verita” (Nichts als die Wahrheit) von Erzbischof Georg Gänswein sorgten am Freitag für Schlagzeilen in den italienischen Medien. So titelt etwa die römische Tageszeitung “Il Messaggero”: “Am Tag der Beerdigung ein Angriff von Georg gegen Bergoglio”. Gänswein beklage sich in dem Buch nachträglich über seine Beurlaubung durch Papst Franziskus. Als der amtierende Papst ihn im Februar 2020 von seinem Posten als “Präfekt des Päpstlichen Hauses” auf unbestimmte Zeit beurlaubt hat, sei er “schockiert und sprachlos” gewesen, berichtet der enge Benedikt-Vertraute.

Ein kurzer herzlicher Moment am 27. August 2022: Papst Franziskus (r.) grüßt den emeritierten Papst Benedikt XVI. (l.). Erzbischof Georg Gänswein ist wie immer an Benedikts Seite.APA/AFP/VATICAN MEDIA/Handout

Nur mehr ein halber Präfekt

Damals, im Jänner 2020, hatte ein Buch von Kardinal Robert Sarah für Aufsehen gesorgt, zu dem der emeritierte Papst Benedikt das Vorwort geschrieben hatte. Es war eine Verteidigung des priesterlichen Zölibats gewesen, mit Argumenten, die vorangegangen Äußerungen von Papst Franziskus widersprochen haben. Auch Gänswein war in Kritik geraten, weil er am Zustandekommen des Buchs mitgewirkt haben soll – was er aber bestreitet. Damals habe ihn Franziskus mit ernster Miene mitgeteilt: “Bleibe fortan zuhause. Begleite Benedikt, der dich braucht, sei ihm ein Schutzschild.” Damit sei Gänswein de facto ein “halbierter Präfekt” geworden. Franziskus erklärte ihm: “Du bleibst Präfekt, kommst aber ab morgen nicht mehr zur Arbeit.”

Georg Ganswein gemeinsam mit Papst Franziskus: Ein echtes Vertrauensverhältnis konnte Erzbischof Gänswein zu Franziskus nicht aufbauen, wie er nun beklagt.APA/AFP/Vincenzo PINTO
Gänswein küsst im Petersdom den Sarg von Papst Benedikt.APA/AFP/VATICAN MEDIA/Handout

Benedikt XVI. habe damals die Entscheidung seines Nachfolgers mit den ironischen Worten kommentiert: “Ich denke, dass Papst Franziskus mir nicht mehr traut und dass er will, dass Sie mich bewachen.” Der emeritierte Papst habe sich dann persönlich an seinen Nachfolger gewandt, um ihn umzustimmen. “Monsignore Gänswein leidet zutiefst und zunehmend unter der Last seines Zustands des Ausgeschlossenseins ohne Aussicht auf eine Lösung. Ich wage es daher, Eure Heiligkeit zu bitten, die Situation mit einem väterlichen Gespräch zu klären. Ich für meinen Teil kann nur sagen, dass Monsignore Gänswein keinen Anteil an der Ausarbeitung meines Beitrags zum Buch von Kardinal Sarah hatte.”

Ein paar Tage später erhielt Gänswein die Nachricht von Papst Franziskus, dass sich an der momentanen Situation nichts ändern werde. Ein erneutes Gesprächsersuchen Benedikts vom 17. Februar blieb unbeantwortet.

Erzbischof Gänswein (r.) bei der Beerdigungsmesse des emeritierten Papstes Benedikt XVI. auf dem PetersplatzAPA/AFP/Tiziana FABI
Gänswein begrüßt den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban und seine Frau Aniko Levai, die im Vatikan eintreffen, um dem emeritierten Papst Benedikt XVI. die letzte Ehre zu erweisen.APA/AFP/Alberto PIZZOLI

"Benedikts Hoffnung war etwas naiv"

“Die Gegensätzlichkeit zwischen dem amtierenden Papst Franziskus und dem emeritierten Papst Benedikt hat den Menschen Joseph Ratzinger immer traurig gemacht”, schreibt Gänswein. Franziskus habe einmal gesagt: “Ich habe gehört, dass einige zu Benedikt gegangen sind, weil sie ‘dieser neue Papst…’ verjagt habe.”

Gänswein räumt ein: “Benedikts Hoffnung, dass ich das Bindeglied zwischen ihm und seinem Nachfolger sein würde, war etwas naiv. Schon nach wenigen Monaten hatte ich den Eindruck, dass es nicht möglich sei, zwischen dem neuen Papst und mir ein angemessenes Vertrauensklima herzustellen.”

Kritik an den veröffentlichten Passagen übte der italienische Kurien-Erzbischof Vincenzo Paglia (77). “Schweigen wäre besser”, sagte Paglia in der populären Hörfunk-Sendung “Radio Ach’io” der italienischen RAI. Es gebe offenbar Verletzungen und Schmerzen, aber es wäre trotzdem “besser zu schweigen und die wahre Botschaft von Benedikt XVI. zu suchen.”

Nachdem Gänswein von seinem Posten als "Präfekt des Päpstlichen Hauses" beurlaubt worden war, sah man ihn nur mehr selten in der Öffentlichkeit.APA/AFP/ALBERTO PIZZOLI