Was in Warschau zurzeit geschieht, klingt fast nach einem Putsch: Die Regierung Donald Tusk krempelt den Staat um. Dabei verwendet sie Methoden, die man in dieser Form seit 1989 nicht mehr erlebt hat, sagen Beobachter.

Der ehemalige Chef der polnischen Nationalbank soll aufgrund seiner Nähe zur früheren Regierung angeklagt und abgesetzt werden – trotz Vetos des Verfassungsgerichts. Ex-Innenminister Mariusz Kaminski wurde unterdessen bereits zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, wo er in Hungerstreik getreten ist. Als Chef der Antikorruptionsbehörde ist für Anhänger des neuen Regierungschefs Donald Tusk besonders gefährlich. Der konservative Präsident Andrzej Duda hat Kaminski nun zum zweiten Mal begnadigt – vorläufig und gegen den Widerstand der Regierung.

Mariusz Kaminski war polnischer Innenminister in der PiS-Regierung und ehemaliger Leiter des Zentralen Antikorruptionsbüros. Der polnische Präsident Andrzej Duda äußerte sich „schockiert“ über die Verhaftung Kaminskis.APA/AFP/Wojtek Radwanski

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat die Regierung von Donald Tusk (66) überdies zahlreiche Personen aus den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten entfernt – beim Fernsehen, beim Radio und in der Nachrichtenagentur. Der eXXpress berichtete. Sicherheitsleute besetzten im Dezember die TV-Station, die Ausstrahlung wurde ohne Ankündigung unterbrochen. Kritische Berichte über Polens neuen Regierungschef gehören seither der Vergangenheit an. Das Verfassungsgericht erklärte die Umstrukturierung mittlerweile für illegal, doch davon will sich die Regierung nicht bremsen lassen.

Aufregung beim öffentlich-rechtlichen TV-Sender: Polens Regierung will zahlreiche Mitarbeiter entlassen, Polens ehemaliger Ministerpräsident von der PiS-Partei, Mateusz Morawiecki (Bild), betritt aus Protest am 20. Dezember 2023 den Sitz des Senders.APA/AFP/Wojtek Radwanski

Polen so stark gespalten wie noch nie

Kritische Beobachter in Europa und in den USA reagieren besorgt. Brüssel belohnt den neuen Kurs hingegen mit jenen milliardenschweren Corona-Hilfen, die sie der vorigen Regierung vorenthalten hat – aus Sorge um den Rechtsstaat. Eines steht fest: Die vorige Koalition war wesentlich EU-kritischer. Von einem „demokratischen Staatsstreich“, der zurzeit in Polen stattfindet, spricht der belgische Publizist David Engels im deutschen Online-Medium Nius.

Polens Präsident Andrzej Duda (Bild) von der ehemals regierenden PiS-Partei ist entsetzt über den Umbau durch die neue Regierung.APA/AFP/Wojtek Radwanski

Die polnische Bevölkerung ist so stark polarisiert wie noch nie. Ein „Konflikt zwischen Woken und Konservativen“ findet statt, sagt der rechtskonservative Historiker Engels. Die einen warnen vor einem „Durchbruch“ der Linken, die anderen haben primär Angst vor einem „Rechtsruck“.

Eine polnische Demonstrantin vor dem polnischen Parlament hält ein Schild mit der Aufschrift „Solidarität mit Kaminski und Wasik“. Ihr Protest richtet sich gegen die Verhaftung des ehemaligen Innenministers Kaminski und seines Stellvertreters Maciej Wasik.APA/AFP/Wojtek Radwanski

„Ideologische Revolution“ von oben

Engels nennt das, was zurzeit geschieht, eine „ideologische Revolution, die sich vor unseren Augen abspielt“. Den neuen Kurs fasst der Belgier folgendermaßen zusammen:

„Kreuze und Krippen wurden aus öffentlichen Gebäuden entfernt, die Abtreibungsgesetze sollen trotz katastrophaler Geburtenrate erneut liberalisiert werden, LGBTQ-Gesetze wurden angekündigt, der von Tusk mitausgehandelte ‚Asylkompromiss‘ wurde unterzeichnet und wird Polen fortan zur Aufnahme der von Brüssel beschlossenen Migrantenquoten zwingen, ‚Hass-Rede‘-Gesetze sollen sehr bald die Zensur des politischen Gegners vereinfachen, der Schulstoff soll trotz exzellenter Pisa-Resultate radikal reformiert werden, um an die Stelle von Wissensvermittlung ‚kritisches‘ (also linkes) Denken zu setzen“ – und so weiter.

Die Unterstützung der EU hat Polens Ministerpräsident zurzeit: Tusk bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.APA/AFP/JOHN THYS

Unabhängige und konservative Medien und Denkfabriken fehlen

Für konservative Kräfte in Europa – ob in der Regierung oder in Opposition – müssten eigentlich die Alarmglocken läuten. Einmal mehr zeigt sich, worauf sie bei ihrer Politik achten müssten – und worauf die ehemalige christlich-soziale Regierungspartei PiS vergessen hat: die Förderung unabhängiger Medien und Thinktanks, die nicht abhängig sind vom Steuer- bzw. Gebührenzahler.

Solche Einrichtungen bestehen nach einem Machtwechsel fort. Daran sieht man auch wie wichtig ein marktfreundlicher Kurs ist, in dem der Staat nicht für alles zuständig ist. Darauf hat die PiS generell zu wenig Wert gelegt, nicht nur bei ihrer Medienpolitik.

Abgeordnete der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Plenarsaal protestieren mit Schildern gegen die Verhaftung von Ex-Innenminister Mariusz Kaminski und seines Stellvertreters Maciej Wasik.APA/AFP/Wojtek Radwanski

Hier tritt wieder einmal deutlich zutage: Wo es keine wirtschaftliche Freiheit gibt, da kommt auch die politische Freiheit unter die Räder. Wenn der Staat alles in seinen Händen behält, bleibt dem Bürger nichts, auch wenn es darum geht, Gegenmeinungen öffentlichkeitswirksam zu vertreten.

Zu wenige unabhängige Medien, abseits des öffentlichen Rundfunks: Der belgische Publizist David Engels (Bild) sieht auch Fehler bei der Vorgängerregierung.Wiki Commons/Elekes Andor

Die konservative Opposition ist zurzeit wie gelähmt und steht noch immer unter Schock angesichts dieses radikalen Umbaus, auf den sie nicht vorbereitet ist. Überdies hätte die PiS-Partei „Freunde und Verbündete im Ausland“ suchen müssen, meint David Engels. Auch das ist nicht geschehen, was sich nun fürchterlich rächt.