Obwohl die Terror-Gefahr während eines Lockdowns naturgemäß niedrig ist, warnen Experten davor, dass sich politische Gruppierungen weiter radikalisieren könnten mit verheerenden Folgen…

Es spricht sehr viel dafür, dass die gegenwärtige Situation, die für viele Leute belastend ist, bei einer ganzen Reihe von jungen Islamisten wie ein Brandbeschleuniger wirkt. Der psychische Aspekt ist hierbei sehr relevant. Das haben wir etwa im Fall von Anis Amri gesehen, dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz. Er war in gewisser Hinsicht sehr gestört und konnte sehr leicht emotionalisiert werden. Für die Sicherheitsbehörden war es schwer zu erkennen, was tatsächlich in seinem Kopf vorging.

Szenetypischer Anschlag

Von dem Attentäter in Wien wird ähnliches berichtet. Er ist hier geboren, durchlief nach dem Gefängnis ein Deradikalisierungsprogramm und hatte zuvor versucht, nach Syrien auszureisen.

Aus meiner Sicht war der Wiener Terror szenetypisch für „Homegrown Terrorism“: Erst findet die Radikalisierung statt, dann werden Botschaften versendet und schließlich der Anschlag verübt. Vergleichbare Fälle gab es auch in Deutschland, etwa bei dem Anschlag in Berlin oder ich erinnere an den Fall eines Tunesiers, der in Köln lebte und in Richtung Syrien zum IS ausreisen wollte. Zwar wurde seine Ausreise von den Behörden verhindert, aber er radikalisierte sich weiter und versuchte dann zuhause eine Bio-Bombe zu bauen, deren Bestandteile er sich über verschiedene Internetportale bestellte. Er verhielt sich nach außen hin komplett unauffällig, saß den ganzen Tag vorm Computer und niemand wusste, was in seinem Kopf tatsächlich vorging.

Hunderte Kerzen erinnerten an die Opfer der Terror-Nacht von Wien.APA/ROLAND SCHLAGER

Wie kann man die Gefahr solcher Anschläge künftig minimieren?

Komplett ausschließen könnte man sowas vermutlich nur, wenn man Nordkorea wäre. Wir haben heute auch in Österreich eine andere Bedrohungslage als noch vor fünf Jahren. Damals haben wir alle in Richtung IS und Syrien und Irak geschaut und hatten die große Sorge, dass von dort ein Terror-Kommando kommt, um Anschläge zu verüben, wie seinerzeit etwa in Paris. Das hat sich heute grundlegend verändert, weil es diese Bedrohungslage durch den IS dort nicht mehr so gibt. Das vorrangige Problem heute sind Leute, die in unseren Städten und Gemeinden leben, die sich hier radikalisieren und bei denen man nicht genau weiß, was die zuhause, im Kinderzimmer, in den Moscheen oder in Seminaren so treiben. So etwas wie in Wien kann jederzeit überall passieren, weil die Verfassungschutzbehörden gar nicht in der Lage sind, radikalisierte Menschen rund um die Uhr zu überwachen. Im Übrigen denke ich, dass es pures Glück war, dass in Österreich so lange Zeit gar nichts passiert ist.

Was kann man also tun, um solche Gefährder früher zu identifizieren?

Was man dringend braucht sind Informationen und da ist es natürlich gut, wenn der Gesetzgeber den Sicherheitsbehörden mehr Möglichkeiten zur Informationsgewinnung durch technische Aufklärung einräumt. Mit Hilfe einer strategischen Überwachung könnte zum Beispiel festgestellt werden, wer sich im Internet gerade Enthauptungsvideos anschaut und ob diese Person als möglicher Salafist oder sogar Dschihadist schon bekannt ist. Außerdem ist es wichtig, dass der Staat generalpräventiv auch klare Signale in die Szene aussendet.

Insgesamt 12 Menschen kamen bei dem Terror-Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz 2016 ums Leben.Bernd von Jutrczenka/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Wie könnten solche Signale aussehen? 

Bei jungen Islamisten ist es oft so, dass sie unsere freiheitlichen Demokratien verachten, weil sie Rechtsstaatlichkeit als Schwäche wahrnehmen. Sie kommen fast immer aus totalitären islamisch-arabisch geprägten Staaten, in denen das, was als schwach angesehen wird, verachtet und nicht akzeptiert wird. Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht für die Akzeptanz unserer freiheitlichen Demokratie durch diese jungen Menschen wichtig, dass klare Signale der Wehrhaftigkeit unserer Demokratien ausgesendet werden. Als Einzelmaßnahme neben einer Ertüchtigung der „Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst“  würde ich diese Leute verunsichern. Etwa indem Mitarbeiter des Verfassungsschutzes sie zu Hause aufsuchen und ihnen klar machen: „Wir kennen Dich und wir haben Dich im Blick.“ Das führt zu einer Verunsicherung in der Szene, sodass von möglichen Tatplänen wieder Abstand genommen wird.

Sinnvoll ist es auch, wenn solche jungen Menschen, die festgenommen werden, vom Haftrichter nicht sofort wieder auf freien Fuß gesetzt werden, sondern direkt in Haft gehen. Und dass auch das Strafmaß in einem stärkeren Maße die Gefährlichkeit dieser Personen berücksichtigt.

„Strafrichter sollen Härte zeigen“

Diesem Ansatz stehen Stimmen gegenüber, wonach nicht selten Radikalisierung innerhalb von Gefängnismauern abläuft.

Das ist in der Tat ein größeres Problem. Wir hatten hier in Deutschland zum Beispiel einen Fall, wonach jemand aus dem linksextremen Spektrum ins Gefängnis ging und als Islamist rauskam. Noch brisanter sind aber Fälle von jungen Männern mit Migrationshintergrund, die als gewöhnliche Kriminelle Strafhaft verbüßen, aber vollkommen unpolitisch und nicht religiös waren, und sich dann in der Haft radikalisieren. Mittlerweile haben die deutschen Haftanstalten einen Blick auf diese Gefahr und isolieren Häftlinge, von denen die Gefahr ausgeht, andere Inhaftierte zu radikalisieren. Zusätzlich ist es sinnvoll, dass Mitarbeiter in Haftanstalten besonders geschult werden, um islamistische Radikalisierungen zu erkennen und sie dem DSN melden.

Mein Eindruck ist aber insgesamt, dass von den Möglichkeiten des Strafvollzugsrechts nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht wird. Daher bin ich dafür, dass der Strafrichter im Bereich des islamistischen Terrorismus Härte zeigt.

„Es wird sofort skandalisiert“

Im Zusammenhang mit dem Anschlag in Wien wird aktuell auch viel Kritik an der „Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst“ geübt. Stichwort: Versäumnisse. Wie beurteilen sie das? 

Es wird regelmäßig Skandal gerufen, während wo die Sicherheitsbehörden grundsätzlich ihr Bestes geben, um Anschläge zu verhindern. Was ich aktuell in Österreich wahrnehme, ist ein ähnlicher Prozess wie in Deutschland: Es wird sofort skandalisiert nach dem Motto „Die Person war doch bekannt und ihr habt es nicht verhindertwarum man dann nicht dieses und jenes unternommen“. Das lenkt von demeinem eigentlichen Versagen an anderer Selle ab, denn der Verfassungsschutz ist letztendlich nur der Brandmelder und kommt erst dann zum Zugekann erst dann eingreifen, wenn es eigentlich schon fast zu spät ist. Dass sich ein Mensch überhaupt so radikalisieren konnte, hätte längst auch anderen auffallen können, sei es dem Arbeitgeber, dem Lehrer, dem familiären Umfeld oder dem Nachbarn. Und es ist letztendlich auch ein Versagen der Ausländerpolitik, dass derartige Menschen auch durch zugereiste Migranten radikalisiert werden können. Das vielfache Versagen der Gesellschaft wird aber ignoriert und man verweist lediglich auf den Verfassungsschutz, der aus meiner Sicht aber erst ganz am Ende steht.

Wie haben Sie Ihrerseits damals die Zusammenarbeit mit dem österreichischen Verfassungsschutz erlebt? 

Die war sehr gut und vertrauensvoll, auch wenn ich gesehen haben, dass der damalige Leiter Peter Gridling es nicht immer leicht hatte, was einerseits Probleme in seiner Behörde anging, aber andererseits auch das politische Umfeld in Österreich betraf. Mein Eindruck aber war, dass die Kollegen im DSN eine gute Arbeit geleistet haben. Wir hatten eine Reihe von erfolgreichen nachrichtendienstlichen Operationen gegen Islamisten in Deutschland mit Bezug nach Österreich.

Hans-Georg Maaßen bei einer Wahlkampf-Veranstaltung der Werte Union.Patrick Pleul/dpa-Zentralbild

Zur Person

Der Jurist Dr. Hans-Georg Maaßen (58) war bis 2018 Präsident des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz. Er ist Mitglied der CDU und engagiert sich in der konservativen WerteUnion. Er ist ein prominenter Kritiker der deutschen Migrationspolitik und Vortragsredner zu Themen der inneren Sicherheit. Er ist aktuell als Rechtsanwalt tätig.