Die Zeit großer Migrationsströme ist angeblich vorbei. Mittlerweile seien die Zuwanderungszahlen ohnehin gering. Deshalb sei auch Migration nicht länger großes Thema der Politik. Das behauptet Andreas Babler in einem neuen Interview – und zwar mit Nachdruck.

Ob er nachvollziehen könne, „dass zu viel Migration eine Gesellschaft auch überfordern kann“, wird der neue SPÖ-Bundesvorsitzende von der „Presse“ gefragt. „Ja, wobei es jetzt mit den geringen Zahlen kein großes Thema mehr ist“, antwortet Babler. „Es gibt wichtigere Fragen, die viel bestimmender sind“, etwa die Teuerung.

Österreich erlebte 2022 eine Verdreifachung der Asyl-Zahlen

Dass Andreas Babler von „geringen Zahlen“ spricht, überrascht. Im vergangenen Jahr erlebte Österreich den stärksten Anstieg bei Asyl-Zahlen innerhalb der EU. Die Anträge haben sich von 2021 auf 2022 verdreifacht, von 39.930 auf 108.490.

Der Hinweis des SPÖ-Chefs auf die sinkenden Zahlen bezieht sich offenkundig auf dieses Jahr. Tatsächlich sind heuer die Asylzahlen in Österreich wieder gesunken, allerdings ausgehend von einem hohen Niveau. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) führt den Rückgang auf „intensive Grenzkontrollen, Bekämpfung der Schlepperkriminalität und schnellen Asylverfahren“ zurück. EU-weit schnellen die Zahlen weiterhin in die Höhe. Besonders betroffen sind Deutschland (+87 Prozent) Italien (+63 Prozent) und Frankreich (+52 Prozent). Sogar das Rekordjahr 2015 könnte noch übertroffen werden.

„Kenne mich mit Stimmungen ganz gut aus, auch in Traiskirchen“

In Österreich könnten somit die Asyl-Zahlen wieder sehr schnell sehr stark ansteigen. Dann werde Migration neuerlich ein Thema sein, wendet die „Presse“ ein. Andreas Babler winkt ab. Der SPÖ-Chef sieht hier offenbar primär Populismus am Werk: „Ich kenn mich da ganz gut aus mit diesen Stimmungen, auch in Traiskirchen. Manchmal werden diese Stimmungen politisch verstärkt und dramatisiert.“

Verfahrenszentren an den Außengrenzen sollen künftige Asylwerber nicht abschrecken

Dass die bisherige Migration bereits Spuren hinterlassen hat, dass sich Menschen schon jetzt in ihren Vierteln nicht mehr wohlfühlen wegen zu viel Zuwanderung, will der SPÖ-Vorsitzende nicht kommentieren: „Aber jetzt gerade ist es kein sehr großes Thema“, entgegnet er. Zurzeit gebe es „wichtigere Themen“ – Stichwort: Inflation und Gesundheitsversorgung.

Zahlreiche Asylwerber leben in Traiskirchen, wo Babler bisher Bürgermeister war. In der Stadt befindet sich ein Erstaufnahmezentrum.APA/HELMUT FOHRINGER

Angesprochen auf Verfahrenszentren für Asyl an den EU-Außengrenzen, meint Babler: Er befürworte sie, jedoch sollten sie keine abschreckenden Wirkung auf künftige Asylwerber haben: „Wichtig ist, dass dort die Menschenrechte geachtet werden, man die Leute fair und respektvoll behandelt. Verfahrenszentren sollen bei der Abwicklung helfen, aber nicht Menschen abschrecken, die um Asyl ansuchen wollen.“

Nehammer-Sprecher Kosak widerspricht

Bablers Ausführungen ernten bereits Widerspruch, vor allem seine Behauptung, dass Migration kein großes Thema ist. „Ich würde da widersprechen“, kontert Daniel Kosak (ÖVP), Pressesprecher von Bundeskanzler Karl Nehammer, auf Twitter. „Es ist eines der größten Themen gerade. Sowohl auf österreichischer, als auch auf europäischer Ebene.“ Kosak ist darüber hinaus Vizebürgermeister in Altlengbach.

Kickl fordert „Festung Österreich“ und „sofortigen Asylstopp“

Eine andere Sicht der Dinge als Babler hat offenkundig auch FPÖ-Chef Herbert Kickl. Kommende Woche wird die FPÖ in der Sitzung des Nationalrats einen Antrag für einen sofortigen Asylstopp einbringen. Darüber hinaus fordern die Freiheitlichen die Umstellung von Geld- auf Sachleistungen für Asylwerber, Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte.

„Die schwarz-grüne Bundesregierung lässt die illegale Masseneinwanderung, die längst Ausmaße einer ,neuen Völkerwanderung‘ angenommen hat, immer weiter eskalieren“, warnt der FPÖ-Bundesparteiobmann. „Mit 112.000 Asylanträgen im Vorjahr wurden die Katastrophenjahre 2015 und 2016 weit übertroffen und fast 14.000 Asylanträge in den ersten vier Monaten dieses Jahres zeigen, dass sich dieser Wahnsinn heuer auf Kosten der Bürger zu wiederholen droht.“ Es brauch eine „Festung Österreich“ und einen „sofortigen Asylstopp“.

Zahlreiche Asylwerber leben in Traiskirchen, wo Babler bisher Bürgermeister war. In der Stadt befindet sich ein Erstaufnahmezentrum.APA/HELMUT FOHRINGER