Die Russen gehen „mit einem sehr hohen Selbstvertrauen in dieses Jahr“, berichtet Bundesheer-Experte Oberst Markus Reisner. Sie „sehen 2023 als Erfolg an“, unterstreicht er. Nun herrsche in den sozialen Netzwerken „eine Feierstimmung, als ob es 2023 gelungen wäre, die alliierte Landung in der Normandie abzuwenden.“

Einnahme von Bakhmut und Marjinka für Russland wichtig

Als wichtigen militärischen Erfolg nennt Reisner gegenüber n-tv die Einnahme von Bakhmut und Marjinka. Die zweite Stadt ist zwar im Westen kaum bekannt, allerdings sei sie „eine sehr wichtige Festung für die Verteidigung der Ukraine“. Am bedeutendsten sei für Russland aber die Abwehr der ukrainischen Offensive. „Zu Beginn des Jahres war die Stimmung in den russischen sozialen Medien durchwachsen“. Im Juni habe sich dies schlagartig geändert, als klar war, dass die ersten Offensivversuche der Ukraine gescheitert sind. „Aus militärischer Sicht ein absoluter Erfolg für die russische Seite.“

Die Russen konnten sowohl Bachmut (oben), als auch Marjinka (Mitte) einnehmen.

Darüber hinaus habe die russische Wirtschaft zwölf Sanktionspaketen standgehalten. Der militärisch-industrielle Komplex wurde angeworfen. „Sie sind in der Lage, neue Waffen und Rüstungsgüter zu produzieren und sie stetig an die Front zu bringen. Das Gleiche mit neuen Soldaten: nicht nur Reservisten, sondern neue Vertragsbedienstete.“

Gleichzeitig sei in Europa nichts von der Verwirklichung der „viel zitierten Zeitenwende“ zu bemerken. Es müsste „rasch und entschieden gehandelt werden“, doch das sei nicht der Fall. Während Russland überdies auf globaler Ebene neue Partnerschaften einging, sind die USA zunehmend mit anderen Konflikten beschäftigt.

Russlands Luftkampagne fügt Ukraine schwere Verluste zu

Über Weihnachten und Neujahr habe Russlands zweite strategische Luftkampagne der Ukraine mit präzisen Schlägen gegen die Luftverteidigungssysteme massiv zugesetzt. Das hatte man zuvor schon befürchtet, berichtet Oberst Reisner: „In den letzten Wochen und Monaten hat die russische Seite versucht, ganz gezielt die Position der ukrainischen Luftverteidigungssysteme zu erkunden, um dann massive Schläge durchzuführen“.

Die russischen Streitkräfte versuchten, die vom Westen gelieferten Fliegerabwehrsysteme zunächst zu übersättigen. Wichtig sei für die Ukraine vor allem, dass ihr nicht die Munition ausgeht. Russland setze bei seinen Luftangriffen auf Drohnen und Marschflugkörper. Deren hohe Anzahl zeige: Die Russen haben es „vor allem in diesem Jahr geschafft, die militärischen Rüstungskapazitäten enorm zu steigern“, sagt Reisner.

Wladimir Putin (l.) mit seinem Verteidigungsminister Sergei Schoigu (r.)

Die Kombination aus Drohnen und Marschflugkörpern sei höchst gefährlich. Zur Übersättigung werden zuerst die Drohnen geschickt, „damit die Luftabwehr darauf reagiert, ihre Raketen abfeuert oder die Geparden einsetzt. Dann kommen die Marschflugkörper. Da diese schnell und bodennah fliegen, sind sie erst sehr spät erkennbar und können so oft durchstoßen.“

Bei den Marschflugkörpern handle es sich um Präzisionswaffen mit größerer Einschlagskraft, sagt der Militär-Experte: „Sie haben eine sehr hohe Treffergenauigkeit. Das Dilemma ist: Wenn von 100 einfliegenden Marschflugkörpern 90 abgeschossen werden, dann ist das zwar eine sehr hohe Rate, aber die zehn, die durchstoßen, richten massive Zerstörungen an.“

Ukraine versucht von der Front abzulenken

Überdies versuche Russland die kritische Infrastruktur zu zerstören. „Im Winter 2022/23 hat Russland laut ukrainischen Angaben zirka 50 bis 60 Prozent zerstört. 10 bis 15 Prozent haben die Ukrainer wieder instand gesetzt, das heißt, ungefähr die Hälfte der kritischen Infrastruktur ist nach wie vor einsatzbereit. Die will die russische Seite zerstören.“

Darüber hinaus wolle Moskau die Moral der Ukrainer brechen. „Allein im Dezember gab es bis auf zwei Ausnahmen jeden Tag Luftangriffe. Das heißt: Fast jede Nacht war die Zivilbevölkerung gezwungen, in die Luftschutzkeller zu gehen. Das zermürbt enorm.“

Deutliche Vorstöße gibt es an der Front von keiner Seite, doch die Russen arbeiteten sich schrittweise vor, sagt Reisner.

Auch von der Front gebe es nicht viel Erfreuliches für die Ukraine zu berichten. Kiew habe geschickt versucht, die westlichen Medien davon abzulenken, etwa mit dem Besuch von Präsident Wolodymyr Selenskyj an der Front.“ Zwar gebe es von russischer Seite keine massiven Vorstöße, „aber stetige Fortschritte. Unter zum Teil schwersten Verlusten arbeiten sich die Russen Meter für Meter voran.“ Die Russen haben es geschafft, „die ersten Linien zu durchbrechen“. Die Ukraine beginne mittlerweile damit, in der Tiefe neue Verteidigungsanlagen zu errichten.

Fazit: Für die Ukraine läuft es zurzeit nicht gut.