Nur 1,3 Kinder pro Österreicherin. So wenige Babys wie 2024 wurden in der Bundesrepublik noch nie geboren. Damit ein Staat seine Bevölkerungsanzahl konstant halten kann – ohne Zuwanderung – braucht es mindestens 2,1 Kinder pro Frau. Doch diese Fertilitätsrate gab es zuletzt Anfang der 1970er Jahre. Die negativen Auswirkungen des Kindermangels betreffen fast alle Bereiche des Lebens: das Pensionssystem, Sicherheit, Gesundheit, Verteidigung oder Staatsfinanzen.

Das Pensionssystem ist der Bereich, in dem man schon bald die Auswirkungen von zu wenig Kindern spüren wird, sagt ÖVP-Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler. „Österreich hat, so wie viele andere europäische Länder, einen sogenannten Generationenvertrag. Das heißt, die Menschen, die in Berufen tätig sind, finanzieren die ältere Generation, die bereits in Pension ist. Und wir sehen, dass ab dem Jahr 2042 auf zwei berufstätige Menschen ein Pensionist kommt. Das lässt sich kaum mehr aufrecht halten. Es muss jetzt schon der Staat zuschießen“, warnt die Sonderbeauftragte und Vizepräsidentin der Parlamentarischen Versammlung der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) für demografischen Wandel im exxpress-Interview.

Zuwanderung löst das Problem nicht langfristig

In Debatten um den Kindermangel wird oft das Argument eingebracht, das Problem lasse sich durch Migration beheben. Dem erteilt Kugler eine Absage. Die Fachkräfte, die aus dem Ausland nach Österreich kommen, würden in ihren Herkunftsländern fehlen. „Brain Drain“ ist das Fachwort für dieses Phänomen.

Bevölkerungsrückgang ist mittlerweile nicht mehr nur ein Problem der Industrienationen, sondern greift weltweit um sich. Seit 2019 leben zwei Drittel der Weltbevölkerung in Ländern mit einer Geburtenrate unter 2,1. Als zweite Schwierigkeit nennt Kugler: „Wir wissen, dass Migranten, wenn sie hierbleiben, sich schnell unseren Entwicklungsstandards und Geburtenraten anpassen“. Durch Zuwanderung werde das Problem also nicht langfristig gelöst.

Ungarn setzt seit Jahren auf familienfreundliche Politik

Hartnäckig halte sich noch immer die Meinung, es gebe zu viele Menschen auf dem Planeten. Dazu die ÖVP-Abgeordnete: „Dieses Problem ‘Bevölkerungsexplosion’ ist eigentlich nicht mehr anerkannt von der UNO und von der Weltbank“. In Lettland machen sich die Menschen beispielsweise Sorgen, dass in Zukunft ihre Sprache aussterben werde. In Frankreich leben heute mehr Menschen, die im Jahr 1946 geboren wurden als 2024.

Was kann ein Staat tun, damit wieder mehr Kinder geboren werden? Laut Kugler sind zwei Ansätze sinnvoll. „Es ist die Verantwortung der Politik, den Menschen das Leben mit Kindern zu erleichtern“, nennt sie einen Ansatz und deutet damit daraufhin, dass es im Interesse des Staates sei, Eltern unter die Arme zu greifen. Was Familienpolitik betrifft, ist Ungarn ein Vorreiter. Das Land setzt seit Jahren auf massive Steuererleichterungen für Familien mit Kindern.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán plant eine lebenslange Einkommenssteuerbefreiung für Mütter mit zwei oder mehr Kindern. APA/Attila KISBENEDEK

Kinderkriegen muss wieder „cool“ werden

Doch allein durch eine familienfreundlichere Politik entscheiden sich Menschen nicht dafür, mehr Nachwuchs zu bekommen. Auch in Ungarn liegt die Reproduktionsrate bei unter 2,1 Kindern pro Frau – trotz aller politischen Anstrengungen. Die ÖVP-Abgeordnete hat eine Erklärung dafür: „Wenn Vergünstigungen da sind, sagen die Leute: ‘Wir wollen ein Kind haben, dann haben wir es ein bisschen früher’. Das heißt, es gibt nicht mehr Kinder, sondern sie werden nur früher geboren. Das ist für den Staat eigentlich ein Nullsummenspiel“.

Mindestens genauso wichtig wie der politische Aspekt – wenn nicht sogar wichtiger – sei der kulturelle: „Zielführend wäre es, wenn eine Gesamtgesellschaft – alle Eliten, alle Influencer, alle Mitdenker – gemeinsam verstehen, dass wir hier ein Problem haben und gemeinsam an einem Strang ziehen, zu sagen: ‘Kinder haben ist etwas Gutes, etwas Schönes, die Gesellschaft unterstützt das, wir finden das cool, wow, du hast Kinder, ich verneige mich’“, sagt Kugler. Es brauche einen „tiefgehenden Kulturwandel“ und „Sinneswandel“, da der derzeitige Zeitgeist nicht sehr kinderfreundlich sei. „Ohne das können wir die Kurve nicht kratzen“, ist die Politikerin und Mutter von vier Kindern überzeugt.

Immer mehr Menschen haben überhaupt keine Kinder

Gudrun Kugler weist darauf hin, dass sich der Kindermangel schon lange angekündigt hat. Schon seit den 1970er Jahren steigt die Zahl der Kinderlosigkeit exponentiell an. Eine wichtige Frage sei, warum Menschen nicht nur wenige Kinder haben, sondern immer mehr Menschen überhaupt keine. Einer Auswertung zufolge sagen 30 Prozent der Kinderlosen, sie wollten nie Kinder haben. 38 Prozent sagen, sie hätten gerne Kinder gehabt, es hat sich aber nie ergeben. 25 Prozent sagen, sie waren sich nicht sicher, ob sie Kinder wollen oder nicht.

„Hier könnte man ansetzen“, denkt Kugler. Man könnte versuchen, junge Akademiker an der Universität, die Kinder haben wollen, zu unterstützen. „Man kann versuchen, nicht nur Arbeit und Kinderhaben zu vereinen, wo wir auch noch Baustellen haben, sondern auch Ausbildung und Kinderhaben. Das sind Dinge, die wir vielleicht neu denken müssen“, schlägt Kugler vor.