Trotz Lehrermangel: Wien blockiert Quereinsteiger – Bildungsdirektion schweigt
Hochqualifizierte Lehrer wollen an Wiens Schulen helfen – doch man lässt sie nicht. Zahlreiche Bewerbungen verschwinden im Büro-Nirwana der Bildungsdirektion, während Schüler ohne Lehrer dastehen. „Man will uns einfach nicht!“, sagt ein Betroffener dem exxpress.
Leere Klassen trotz Schülern: Unterricht fällt aus, weil qualifizierte Lehrer fehlen.GETTYIMAGES/Stock Planets/Sean Gladwell
Immer mehr empörte Rückmeldungen erreichen den exxpress – von Bewerbern, die sofort an Wiens Schulen einspringen könnten, aber offenbar systematisch übergangen werden. Es handelt sich um hochqualifizierte Quereinsteiger, die ein aufwändiges Bewerbungsverfahren durchlaufen haben – und dann in Wien auflaufen.
Der jüngste Fall: ein Psychotherapeut mit abgeschlossener Lehramtsausbildung, der sich nach dem Artikel vom 8. Juli beim exxpress meldete. Seine Erfahrung bestätigt, was mittlerweile Dutzende berichten: Zertifizierte Lehrer werden trotz Lehrermangel blockiert – während Quereinsteiger ohne Zertifikat in großer Zahl Sonderverträge erhalten.
„Nicht einmal mein Antrag auf Akteneinsicht wurde beantwortet“
Der Betroffene war bereits vor einigen Jahren an einer Wiener Schule tätig. Später wollte er zurückkehren – mit abgeschlossenem Lehramtsstudium, Magistertitel, therapeutischer Zusatzausbildung und langjähriger pädagogischer Erfahrung.
Doch was geschah? Nichts. Keine Einladung. Keine Antwort. Nicht einmal auf seinen offiziellen Antrag auf Akteneinsicht nach der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) reagierte die Bildungsdirektion Wien. „Die selektive Intransparenz und das völlige Ausbleiben jeglicher Rückmeldung lassen den Eindruck entstehen, dass qualifizierte Bewerber gezielt aus dem System ferngehalten werden – möglicherweise aus wirtschaftlichen oder strukturellen Gründen“, berichtet der Bewerber.
In NÖ sofort genommen – in Wien ignoriert
Der exxpress weiß in der Zwischenzeit aus weiteren Fällen: In Niederösterreich wurden zertifizierte Quereinsteiger sofort eingestellt, die zuvor in Wien vergeblich auf Reaktionen warteten. Dabei gäbe es auch in der Bundeshauptstadt Schulleitungen, die solche Bewerber dringend benötigen würden – doch: Sie erfahren nie von ihnen.
Der Skandal: Qualifizierte erscheinen nicht im System
Wie der exxpress bereits enthüllte, liegt der Knackpunkt im Online-System „Get Your Teacher“. Nur wer dort im Portal erscheint, kann von Schulen als Bewerber gefunden und kontaktiert werden.
Doch viele zertifizierte Quereinsteiger tauchen dort gar nicht auf – es sei denn, ein Beamter der Bildungsdirektion schaltet sie aktiv frei. Ein einziger Mausklick genügt – doch genau der passiert oft nicht.
Prof. Andreas Schnider, Vorsitzender der Zertifizierungskommission im Bildungsministerium, zeigte sich entsetzt: „Wenn zertifizierte Bewerber im System nicht sichtbar sind, wird die gesetzlich garantierte Schulautonomie unterlaufen.“
Währenddessen werden Unqualifizierte bevorzugt
Besonders brisant: Während zertifizierte Quereinsteiger auf Rückmeldungen warten, werden gleichzeitig immer mehr nicht-zertifizierte Bewerber über Sonderverträge eingestellt.
Laut Prof. Schnider waren im Schuljahr 2023/24 nur 20 Prozent der neuen Quereinsteiger zertifiziert – die übrigen hatten weder ein abgeschlossenes Lehramtsstudium noch das offizielle Zertifikat.
Die Vermutung liegt nahe: Billigere, flexiblere Kräfte sind Wien lieber – auch wenn die Qualität leidet.
„Wie kommt es, dass ich nicht einmal eingeladen werde?“
Auch andere Medien berichten mittlerweile über ähnliche Fälle. Heute-Kolumnist Niki Glattauer etwa zitiert einen zertifizierten Deutsch-Quereinsteiger, der sich an rund 50 Schulen beworben hat – ohne ein einziges Vorstellungsgespräch. „Wie kann das sein, wenn doch angeblich Lehrermangel herrscht?“, fragt Glattauer.
Ein Amt schweigt – trotz wachsender Kritik
Der exxpress hat die Bildungsdirektion Wien bereits zweimal schriftlich konfrontiert, unter anderem mit folgenden Fragen:
Wie viele zertifizierte Quereinsteiger wurden 2024/25 in Wien tatsächlich eingestellt?
Wie viele mit Zertifikat blieben unberücksichtigt?
Wie viele unqualifizierte Sondervertragslehrer wurden im selben Zeitraum aufgenommen?
Warum erscheinen zertifizierte Bewerber nicht automatisch im System?
Wie stellt Wien sicher, dass die Schulautonomie gewahrt bleibt?
Ergebnis: Schweigen. Keine Antwort. Kein Dementi. Kein Gesprächsangebot. Kurz: Unsere Erfahrung mit der Bildungsdirektion deckt sich mit der vieler Betroffener: Ignorieren statt Aufklären.
Ein Muster – kein Einzelfall
Was sich zeigt, ist längst kein Einzelfall mehr, sondern ein strukturelles Muster:
Hochqualifizierte Lehrer wollen unterrichten.
Die Schulen würden sie nehmen.
Doch die Bildungsdirektion blockiert – durch Schweigen, Verschleppen, Nicht-Freischaltung.
Gleichzeitig erhalten immer mehr Unqualifizierte über Sonderverträge den Zuschlag.
Dabei stärkte das Bildungsministerium bereits 2017 die Schulautonomie, die durch diese Vorgangsweise in Wien aber systematisch untergraben wird.
Ein wachsender Bildungsskandal. Und niemand übernimmt Verantwortung.
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