
Ralph Schöllhammer: Keine Zeit für Schadenfreude
Der Rückzug aus Afghanistan wird in Europa mit einer Mischung aus Gleichgültigkeit und Schadenfreude wahrgenommen: In Deutschland fanden es weder die Bundesverteidigungsministerin noch die Abgeordneten des Bundestages angebracht, die letzten heimkehrenden Soldaten am Flughafen zu begrüßen. Es war eben ein amerikanischer Krieg an dem man gezwungen war teilzunehmen, aber das ist ja jetzt zum Glück vorbei. In Peking, Teheran und Moskau sieht man dies jedoch anders. Dort wird der Abzug als Niederlage des Westen und als weitere Delle in einer freiheitlich-liberalen Weltordnung gesehen.
Europa gibt sich der Illusion hin, die internationale Politik sei ein Popularitätswettbewerb und das Verfolgen nationaler Interessen ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert, welches sich durch gutes Zureden austreiben lässt. Und tatsächlich, wenn man Umfragen glauben darf, erfreut sich kaum ein Flecken auf der Erde solcher Beliebtheit wie Europa. Aber man sollte Popularität nicht mit Glaubwürdigkeit verwechseln: Gemocht zu werden ist nicht das gleiche wie ernst genommen zu werden. Der in Brüsseler Kreisen beliebte Analyst Parag Khanna argumentierte 2004, dass Europa die erste „metrosexuelle Supermacht“ sei – und er meinte das als Kompliment.
Damals herrschte die Überzeugung vor, das europäische Modell sei so attraktiv, dass sich die Weltpolitik freiwillig europäisieren würde – eben genauso wie der moderne Mann seine klassische Maskulinität abgelegt und durch einen metrosexuellen Lebenswandel ersetzt hat. Die EU war in dieser Sichtweise nicht eine historische Ausnahme, sondern in Umkehrung von Karl Kraus (welcher das Österreich der Zwischenkriegszeit als „Versuchsstation des Weltunterganges“ bezeichnete), die unvermeidliche Blaupause für die Zukunft der Welt. Der Artikel grenzte schon damals an Satire, aber nach der Wirtschaftskrise von 2008, der Flüchtlingskrise von 2015, Brexit und dem Versagen während der Corona Pandemie hat die EU in ihrer jetzigen Form als globales Modell wahrscheinlich ausgedient.
Der Respekt für Europa hält sich in Grenzen
Wie der chinesische Journalist Xue Qing schreibt, ist Europa für China kein entscheidender geopolitischer Faktor, und das Verhalten Russlands in Osteuropa, der Türkei im Nahen Osten und des Iran in den Nuklearverhandlungen lässt darauf schließen, dass sich auch dort der Respekt vor Europa in Grenzen hält. Niemand glaubt dort, dass die EU jemals massiv militärisch in einer Krisenregion eingreifen würde oder Europas Wirtschaftskraft über zahnlose Sanktionen hinaus als Druckmittel eingesetzt werden könnte. Russland macht keine Anstalten seine aggressive Politik gegenüber der Ukraine einzustellen, China hat unter Verletzung gültiger internationaler Abkommen die Autonomie Honk Kongs aufgehoben und der Iran ist immer noch einer der größten Sponsoren des internationalen Terrorismus von Hamas bis Hisbollah.
Der pazifistisch geneigte Leser wird sich vielleicht fragen, warum dies ein Problem darstellt und ob eine Politik der Konfliktvermeidung nicht eine kluge Strategie sei – schließlich sind dies doch alles Probleme anderer Länder in die man sich nicht einmischen sollte. Der kürzlich verstorbene ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld warnte am Ende seiner Amtszeit, dass Schwäche keine Tugend, sondern eine Provokation sei. Obwohl Rumsfeld seit dem Irak-Krieg 2003 in Europa eine unwillkommene Person war, sollte man sich seine Warnung zu Herzen nehmen. Chaos ist infektiös, und so wie der Arabische Frühling am Ende zu einer massiven Flüchtlingswelle nach Europa geführt hat, kann es sich die EU auch nicht leisten bei anderen globalen Konflikten Zaungast zu spielen.
Es gibt weder einen europäischen Bezos, noch ein europäisches Amazon
Fünfzig Prozent der globalen Halbleiter werden in Taiwan produziert, und sollte der Inselstaat tatsächlich einer chinesischen Annexion zum Opfer fallen würden die Europäer dies schneller spüren als ihnen bewusst ist. Ohne Halbleiter steht von der deutschen Autoindustrie abwärts alles still – mit verheerenden sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Ein nukleares Wettrüsten im Nahen Osten – inklusive Bürgerkriegen von Libyen bis zum Jemen – ist ebenfalls nicht durch Untätigkeit abzuwenden, ebenso wenig wie die zu erwartenden neuen Flüchtlingswellen. All diese Bedrohungen sind wesentlich näher an Europa als den USA, welche sich schon aufgrund der geographischen Distanz und einer wesentlich dynamischeren Wirtschaft besser vor diesen Verwerfungen isolieren können. Man mag in Brüssel, Berlin, und Wien darüber lachen wenn sich Amazon Gründer Jeff Bezos ins All schießt, aber es gibt weder einen europäischen Bezos, noch ein europäisches Amazon. Das letzte europäische Großprojekt namens A-380 musste eingestellt werden, während in den USA das Zeitalter der privaten Raumfahrt beginnt. Und wer den Wettstreit zwischen Bezos, Musk, und Branson als exzentrischen Egotrip zwischen Milliardären sieht sollte sich bewusst sein, dass der Wettbewerb zwischen diesen „Spinnern“ bereits jetzt zu einer signifikanten Reduktion beispielsweise der Kosten für den Transport von Equipment ins All geführt hat – was einen Preisabfall bei satellitengestützter Kommunikation zur Folge hat. Innovationsschub und technologischer Fortschritt werden auch in den nächsten Jahren ein quasi-Monopol der USA und ihrer Unternehmen bleiben.
Hat Europa die Kraft den Konflikten in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zu begegnen?
Solange die USA gewillt waren, die Rolle des globalen Polizisten wahrzunehmen konnten wir Europäer es uns leisten, moralische Weltmacht zu spielen, weil im Hintergrund immer der Knüppel aus Washington den sanften Worte aus Brüssel Nachdruck verleihen konnte. Was aber, wenn Washington tatsächlich das Handtuch als global Ordnungsmacht werfen sollte? Hat Europa die Kraft den Konflikten in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zu begegnen? Josep Borell, der den byzantinischen Titel „Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ führen darf forderte kürzlich, Europa müsse wieder die Sprache „harter Macht“ lernen und auch militärisch handlungsfähig werden. Anscheinend hat die geopolitische Metrosexualität nun auch in Brüssel ausgedient. Am 5. Mai dieses Jahres begannen sogar Gespräche, die Rapid Reaction Force wiederzubeleben. Diese militärische Einheit, welche in Konflikten rasch eingreifen soll, wartet sein 1999 auf ihre Fertigstellung. Man darf gespannt sein, ob es dem größten Wirtschaftsblock der Erde nach 22 Jahren tatsächlich gelingt, eine Brigade mit 5000 Soldaten aufzustellen, die auch wirklich einsatzfähig ist.
Der Rückzug aus Afghanistan sollte für die EU ein Weckruf sein, sich endlich ein Rückgrat zuzulegen und auch der eigenen Bevölkerung zu vermitteln, dass man Geschichte nicht einfach aussitzen kann.
Ralph Schöllhammer ist Assistenzprofessor für Volkswirtschaftslehre und Internationale Beziehungen an der Webster Privatuniversität Wien. Auf Twitter unter @Raphfel sowie auf seinem Podcast “The Global Wire” kommentiert er regelmäßig das globale wirtschaftliche und politische Geschehen.
Kommentare
Mit unserer westlichen, humanistischen Kultur wird man nie gegen Muslime gewinnen können, denn die im Islam tiefsitzende Brutalität gehört nicht zu uns.
Da wird nicht viel stillstehen, wenn aus Taiwan keine Halbleiter mehr kommen. Da werden Fabriken in Europa entstehen. In Fernost wurde die Halbleiterproduktion ja nicht erfunden.
Eigentlich gibt es kaum noch eine Grundlage dafür, dass etwas in Billiglohnländern produziert wird, da die Produktion ja fast vollautomatisiert abläuft. Erst recht die Produktion von Halbleiterbauteilen.
Der einzige Vorteil in diesen Ländern dürfte es nur noch sein, dass die auf Umweltschutz weniger Rücksicht nehmen müssen. Nur teilweise geht es auch um Rohstoffe.
Also einfach damit beginnen, eine Industrie wieder in Europa aufzubauen. Dann können sich die Chinesen ihr Zeug an den Hut picken. Dauerhaft wird das sowieso nicht so billig bleiben wie derzeit noch.
Trump hatte diesbezüglich sehr recht.
Lesenswerte Analyse, und treffend dargestellt, dass Europa geopolitisch als -wie unsere Sonne auch- weißer Zwerg enden wird. Die derzeitige, teilweise abstruse Politik der totalen Toleranz, insbesondere hinsichtlich aller Momente, die gegen unsere herkömmliche, christlich- jüdische Kultur gerichtet sind, wird die überzüchteten Sozialstaaten in Europa kollabieren lassen, einige Millionen junge muslimische Männer nach Europa, und das wäre es gewesen mit dem Projekt der Europäischen Union :” Wir sind alle eine glückliche große Familie”. Schweden ist wahrscheinlich das erste Land, das ein failed state ( gescheiterter Staat) werden wird, andere werden folgen, in Deutschland und Frankreich sind schon sehr tiefe Risse zu erkennen. Ich nenne solche kollabierten Sozialstaaten in der Folge Staaten der zweiten Welt, oder man kann es einfacher ausdrücken, Europa von heute ist vergleichbar mit dem Römischen Reich des 3.und 4.Jahrhundert , daher stellt sich nur noch die Frage, wie wird das neue Mittelalter in vielleicht 30 Jahren aussehen ? Allein wenn ich mir die abstrusen, wirtschaftsfeindlichen Forderungen und Ziele der EU ansehe, das Klima zu retten, Moskau und Peking schauen amüsiert zu und brauchen nur noch zu warten….
Europa hat in der Geschichte schon genug Unheil angerichtet. Es besteht überhaupt kein Bedarf, die Welt nach Kreuzzügen, Reformation (“christlicher Salafismus”), Jakobinismus (“Aufklärung”), Kolonialismus und mehreren Body-Count-intensiven totalitären sozialistischen Ideologen jetzt auch noch mit Klima- und Regenbogenimperialismus zu behelligen.
vergessen sie aber bitte nicht, dass die Kreuzzüge eine Antwort auf die aggressive Islamisierung der damaligen Welt waren. Muslimische Eroberer drangen sogar in Europa ein…. da sich der Islam rund 600 Jahre nach dem Christentum entwickelt hat, ist mit Blick Richtung Südosten klar, wer sich als Eroberer betätigt hat.
Der EU auch nur einen einzigen Soldaten zu geben ist demokratiefeindlich, wie auch Meinungen zu zensurieren!
“Der Rückzug aus Afghanistan sollte für die EU ein Weckruf sein, sich endlich ein Rückgrat zuzulegen und auch der eigenen Bevölkerung zu vermitteln, dass man Geschichte nicht einfach aussitzen kann.”
Klingt gut, aber wie implantiert man ein verlorenes Rückgrat? Zumindest bräuchte es Politiker, die so etwas wollen, und wenn sie es wollen, bekommen sie es sofort mit Schlägertrupps aus den asozialen Medien und den offiziellen Medien zu tun – ganz zu schweigen von den vielen NGOs, die von Steuergeldern, also unserem Geld, ihr Unwesen treiben.
Barracuda locuta, causa finita
Der EU einen militärischen Arm zu geben, halte ich, gelinde gesagt, für völlig verrückt! Die EU-Bürokraten würden diesen nur zur Unterdrückung der Europäer missbrauchen.
Ja, das sehe ich auch so. Die EU ist kein Staat.