Kein guter Tag für die Ampel-Koalition in Berlin: Die Bauern werden aufmarschieren, wie immer gut organisiert. Vom Brandenburger Tor bis zur Siegessäule stehen ihre Traktoren. Und es ist keine Einigung in Sicht, und damit kein Ende der Proteste. Im Gegenteil: Nun könnte es erst richtig losgehen.

Das herablassende Verhalten von Kanzler Olaf Scholz (65, SPD) heizt den Zorn zusätzlich an. Im Gegensatz zum Grünen-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (58) und zu Finanzminister Christian Lindner (45, FDP), der heute in Berlin vor die Bauern treten wird, hat er sich den Demonstranten noch nie gestellt. Dafür wetterte Scholz in einer Video-Rede gegen den Protestzug der Landwirte: “Die Wut wird gezielt geschürt”, behauptete der Kanzler. “Extremisten” würden “jeden Kompromiss verächtlich” machen und “jede demokratische Debatte vergiften”.

Hauruck-Aktion brachte das Fass zum Überlaufen

Zuletzt war die Bundesregierung den Bauern bei Agrardiesel und bei der KFZ-Steuerbefreiung entgegengekommen. Die Dieselbeihilfe soll nicht sofort wegfallen, sondern über drei Jahre gestreckt werden. Doch wie sich nun zeigte, war das nur der  Anlass, der zum Ausbruch einer jahrelang angestauten Wut führte. Realitätsfremde Tier- und Pflanzenschutz-Vorschriften, ungleiche Wettbewerbsbedingungen in Europa aufgrund von CO2-Preis und Mindestlohn, und all das verbunden mit massiven Existenzängsten – all das treibt immer mehr Bauern in die Verzweiflung. Jahr für Jahr geben Landwirte auf, weil sie sich gegen die Handelsketten nicht durchsetzen können.

Breite Unterstützung für Landwirte

Zusätzlich erbost hat die Bauern die Hauruck-Aktion der Regierung. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hatte im November eine Haushaltskrise ausgelöst. Binnen weniger Wochen musste sie 17 Milliarden Euro für 2024 einsparen. Die Landwirte fühlten sich von der Schnell-Maßnahme überfallen. Nun erhalten sie breite Unterstützung – von anderen Berufsgruppen, etwa dem Transportgewerbe und vielen Handwerkern, und von den Bundesländern, auch den SPD-geführten. Die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern haben sich mit den Bauern solidarisiert.

Minister warnen vor "rechts außen" und "Umsturzfantasien"

Zusätzlich zugespitzt hat sich die Situation durch öffentliche Stellungnahmen der Bundesregierung, durch die sich die Demonstranten pauschal verunglimpft fühlen. Seit bald zwei Wochen warnt die Ampel-Koalition vor Rechtsextremen und Umstürzlern unter den Demonstranten. Die mag es vereinzelt auch geben – nur ist das bei Protestzügen nichts Neues. Immer wieder mischen sich ein paar Radikale in die Masse der Demonstranten. Überdies hat sich Verbandspräsident Joachim Rukwied von Extremisten und Umsturzplänen unmissverständlich distanziert.

Dennoch: Grünen-Agrarminister Özdemir warnte vor “Leuten von ganz rechts außen”, deren “Umsturzfantasien” die Demokratie “verrotten” sehen wollten. SPD-Chefin Saskia Esken (62) nannte die Kritik der CDU an der Regierung “brandgefährlich”, und Scholz sieht in den Demonstranten anscheinend “Demokratie-Verächter” – siehe oben.

Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Ernährung und LandwirtschaftAPA/dpa/Hannes P Albert

Kritiker sehen bei Scholz "Attitüde absolutistischer Herrscher"

Diese Haltung sei nahe am Absolutismus, meint der Historiker Prof. Andreas Rödder (56, Uni Mainz) gegenüber der “Bild”: “Proteste sind legitim, aber nicht gegen mich – damit stellt der Kanzler die eigene Position über alles und will zugleich darüber urteilen, welcher Widerspruch zulässig ist. Das ist die Attitüde absolutistischer Herrschaft wie bei Ludwig XIV.”

Kritik an diesen Stellungnahmen äußerte auch Finanzminister Lindner: “Jetzt werden sehr schnell Stimmen laut, auch aus den Reihen unserer Koalitionspartner, die von einer Radikalisierung sprechen und davor warnen. Wo waren die denn, als die Klimakleber massiv in den Straßenverkehr eingegriffen haben?”