
Rudolf Öller: Demütigung
Internationale „Experten“ rätseln, welche Strategie Wladimir Putin mit seinem Einmarsch in die Ukraine verfolgt. Die einfachste Erklärung ist nicht immer richtig, aber meistens. Es geht wieder einmal um Demütigung und Rache, weiß eXXpress-Kolumnist Rudolf Öller.
Sputnik und Gagarin
Die letzten Erfolge der Russen – damals war Russland noch die Sowjetunion mit einer Handvoll kleiner Satelliten – liegen lange zurück. Den Sowjets war es gelungen, insgeheim Raketen und Raumschiffe zu entwickeln. Der Westen, allen voran die Amerikaner, fielen aus allen Wolken, als die Sowjetunion den ersten Satelliten (Sputnik), den ersten Mann (Juri Gagarin) und die erste Frau (Walentina Tereschkowa) in eine Erdumlaufbahn schossen. Es folgten die erste Raumsonde (Lunik 1) und der erste Weltraumspaziergang durch den Kosmonauten Alexei Leonow.
Die Weltraumerfolge der Russen waren das Werk nur eines genialen Ingenieurs und Organisators. Der brillante Genosse war kein Russe, sondern der Ukrainer (!) Sergei Pawlowitsch Koroljow. Er war der kongeniale Rivale des Raketenbauers Wernher von Braun. Nachdem Koroljow nach einem chirurgischen Eingriff im Jänner 1966 verstorben war, stagnierte die sowjetische Raumfahrt. Während die USA mit ihrer Saturn V-Rakete Triumphe feierten und Europa mit der Ariane-Raketenserie aufholte, explodierten zwischen Februar 1969 und November 1972 vier Exemplare der 105 Meter hohen sowjetischen Mondrakete N1. Die in Russland entwickelte Mondlandefähre stellte sich später als Fehlkonstruktion heraus. Hätte die N1-Rakete funktioniert und wäre der für die erste Mondlandung auserwählte Kosmonaut Leonow tatsächlich zum Mond geflogen, er wäre am Mond zerschellt. Der Niedergang der sowjetischen Raumfahrt war die erste große Demütigung der Sowjetunion nach dem 2. Weltkrieg. Als die letzte N1-Rakete explodierte, war Wladimir Putin zwanzig Jahre alt.
Farewell
Oberst Wladimir Wetrow war ein KGB-Agent im Westen. Er sollte für die Sowjetunion Computerchips und Software stehlen, denn die Russen hatten kein Silicon Valley. Wetrow war Alkoholiker, daher wurde er nach Moskau zurückberufen und erhielt einen vermeintlich harmlosen Schreibtischjob. Das empfand er als Demütigung und plante Rache. Er nützte seine alten West-Kontakte und versorgte französische Agenten mit exklusiven Informationen. Wetrow bekam vom französischen Geheimdienst DST (Direction de la Surveillance du Territoire) den Decknamen „Farewell“, worauf tausende geheime Dokumente an Marcel Chalet, den Chef von DST, geliefert wurden. Chalet informierte Präsident Mitterand, der wiederum alle Details an US-Präsident Reagan weitergab.
Wetrow wurde der Alkohol zum Verhängnis. Nachdem er wegen Totschlags und Körperverletzung ins Gefängnis gesteckt worden war, verplapperte er sich. Er wurde wegen Hochverrats angeklagt und 1985 hingerichtet. Da war es aber schon zu spät. Die CIA wusste alles über die inneren Strukturen des sowjetischen Militärs und aller Geheimdienste, einschließlich des KGB.
Präsident Reagan nutzte die Informationen und beschloss 1981, den Sowjetkommunismus in die Knie zu zwingen. CIA-Chef Bill Casey war damals der Vorsitzende des „Foreign Denial and Deception Committee“ (FDDC) der CIA, einem Gremium, das Verschleierung und Betrug zu Operationsmethoden machte. Dieses Komitee benützte den eingeweihten Oberst Wetrow noch vor dessen Hinrichtung dazu, die Sowjets mit defekter Hard- und Software zu versorgen. Das CIA-Komitee war lange Zeit ein Phantom. Erst Jahre später sprach der ehemalige Verteidigungsminister Caspar Weinberger in einem Interview über die Aktivitäten von Caseys Sabotagetruppe. Es wurde zugegeben, dass der Sowjetunion fehlerhafte Computer geliefert worden waren. Zusätzlich bekamen die Kommunisten mit Hilfe von Oberst Wetrow Computerprogramme, die mit Computerviren verseucht waren. So ein CIA-Virus hat beispielsweise die gigantische Explosion der Jamal-Pipeline in Sibirien im Sommer 1982 verursacht.
Zusammenbruch
Oberst Wetrows Verrat, Präsident Reagans Computer-Offensive und der legendäre NATO-Doppelbeschluss führten zum krachenden Ende des Sowjetkommunismus.
Wladimir Putin war damals ein kleiner Beamter des KGB in Ostberlin. Der KGB verstand sich immer als Schwert und Schild der Partei. Für Putin war der Zusammenbruch des ehemals machtvollen Systems die Katastrophe seines Lebens. Später wurde er nach Russland berufen und stieg in der Hierarchie nach oben. Als Präsident Boris Jelzin erkannte, dass er wegen seines exzessiven Alkoholismus nur noch wenige Jahre zu leben hatte, bestimmte er den noch jungen Putin zum Nachfolger.
Nachdem Wladimir Putin im Jahr 2000 Präsident der Russischen Föderation geworden war, erlebte er mehrere Demütigungen. Die schlimmste war der Untergang des atomaren U-Boots K-141 „Kursk“ in der Barentsee.
Haut ab!
Die schmerzvollsten Demütigungen sind offen gezeigte Verachtung und Kränkungen. Es sei hier nur ein Beispiel (für viele) angeführt. In Lettlands Hauptstadt Riga steht im Stadtzentrum ein mehrere Meter großer Affe namens „Sam“ in einem Kosmonautenanzug. Die Skulptur des Künstlers Denis Prasolov ist eine demütigende Botschaft an die ehemaligen Besatzer: Haut bloß ab, Russen, und kommt nie wieder!
Putin weiß das alles, trotzdem will er seine alte Welt zurück, die nie glorreich war und die auch nie wiederkommen wird, auch wenn er noch so viele Oppositionelle einsperren und noch so viele Panzer auffahren lässt. Der Einmarsch in die Ukraine wird Russland jedenfalls weit zurückwerfen. Russland ist ein großes aber technologisch und wirtschaftlich schwaches Land, dessen Exporte nur Rohstoffe sind. Welche Strategie verfolgt Putin? Keine.
Apropos Demütigung: Der Versuch durch die EU, Polen und Ungarn politisch zu demütigen, kann nur pompös scheitern. Die oberlehrerhafte Behandlung von Großbritannien durch die Merkelpolitik ist bereits schiefgelaufen. Die Engländer haben die EU verlassen. Ob die EU in Sachen Demütigung einiger ihrer Mitglieder Lehren ziehen wird? Es gilt das Hoffnungsprinzip.
Kommentare
Eines ist sicher, aus der EU so schnell wie möglich raus!!!
Dieser Haufen an ausrangierten Politikern wird maßlos überschätzt, und DE spielt sich als Führungselite auf. Das ist nicht zu akzeptieren!!!
EWG ohne weitere Kompetenzen für diesen Moloch aus Korruption und Machtphantasien wäre in Ordnung – EU in der Form wie es jetzt angestrebt wird darf keinesfalls weiter forciert werden!
Wo demütigt die Eu Großbritannien, die Briten haben entschieden auszutreten, wollten aber alle Zuckerl behalten. Ich empfehle ein wenig mehr Recherche.
Das mit den “Zuckerln” müssen sie schon präzisieren!
Oder sollten die Briten im Büßerhemd vor Brüssel aufkreuzen?
Putin darf man nicht unterschätzen. Wer glaubt daß er nicht China im Rücken hat, der träumt.
Ich hoffe es sehr, dass Putin die Gegenwehr der Ukrainer und die Einigkeit?? der EU und USA unterschätzt hat.
Aber noch mehr setze ich auf das russische Volk, das auf die Barrikaden gegen ihren Diktator steigen wird.
Die Drohung eines militärischen Angriffs auf Finnland ist schon offiziell.
den Putin wollen nichteinmal die Chinesen.
wenn putin nicht liefern kann sind seine tage im kreml gezählt. auch im kreml sitzen leute die lieber heute präsident werden möchten als morgen. in dieser ebene gibt es keine freunde mehr. da will jeder an die macht. putin kann keine erfolge aufweisen. putin hat jetzt mit dem sinnlosen einmarsch russland auf jahre isoliert. das kann putin nicht mehr reparieren. das verzeihen ihm die ukrainer nicht. der westen u. die ukraine muß sagen ” ja wir verhandeln mit den russen aber nicht mit putin und lawrow ” ich denke das stärkt die vernünftigen leute im kreml. ich denke nicht viele wollen den krieg wie putin ihn führt.
Die russische Armee hatte immer nur Masse und niemals Klasse. Und diese Masse wurde mit unvergleichbarer Brutalität und Rücksichtslosigkeit geführt und zusammengehalten.
Ohne Waffenhilfe aus den USA (und Westfront) hätte die Rote Armee gegen die Wehrmacht eine Pleite erlebt, wie vorher gegen die Finnen und nachher gegen die Afghanen.
Die heutige Russische Armee wird maßlos überschätzt. Sie wird sich in der Ukraine eine blutige Nase holen und Putin wird spurlos verschwinden.
Niemand will Russland etwas aufzwingen. Niemand will mit ihrer Rückständigkeit etwas zu tun haben. Sie sollen uns bloß in Ruhe lassen.
Die Ukraine wird für Pu Afghanistan 2.0!
Er weiß es nur noch nicht.
Russland mag im hi Tech bereich vielleicht nicht an der ersten Stelle stehen!! Aber Hochmut kommt bekanntlich vorm Fall!! Wir in Europa sind
von unser Überlegenheit und die der Amerikaner so überzeugt!! Das es eigentlich ein unverschämte Frechheit
darstellt!! Wir glauben im Ernst allen
Nationen unser Werte und Kultur aufzwingen zu müssen!! Und dieses
Verhalten führt immer wieder zu
KRIEG!! Zumeist dient es um unsere Überlenheit zu demonstrieren und einen
Wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen!!
Das immer diese Probleme entstehen
Verschulden wir die die glauben zu wissen was für die anderen gut ist!!
Niemand will Russland etwas aufzwingen. Niemand will mit ihrer Rückständigkeit etwas zu tun haben. Sie sollen uns bloß in Ruhe lassen.
Eine sehr interessante Analyse. Ich hoffe sehr, dass sich Putin verkalkuliert hat und ein verdienstes Ende findet.
Der bald 70-jährige Putin will in die Geschichte Russlands eingehen. Wenn er sich jetzt mit eingezogenen Schwanz aus der Ukraine zurückzieht, wird er es auch, aber ganz anders als er sich das wünscht.
Der Möchtegern Zar Wladimir Putin hat gar keine Wahl mehr …
Gutes Framing, leider falsch. Putin hat eine klare Strategie, aber den Wehrwillen der Ukrainer unterschätzt. Er hat jahrelang hybride Kriegsführung betrieben und alle möglichen Polit-Figuren eingekauft, Währungsreserven und Schwarzgeld zum Füllen der Kriegskasse im Donbass gehortet – bis ihm die Duma ein Ultimatum und vor die Wahl gestellt hat: kein Geld mehr für den Donbass, entweder Rückzug oder Krieg. Putin hat sich für Krieg entschieden, aber nicht einmal einen Vorwand provozieren können… peinlich.
@Creator
Ich glaube nicht, dass ihm die Duma ein Ultimatum stellen kann. (Eher umgekehrt – wer wackelt, der Hund oder der Schwanz?). Ein Sturz Putin’s müsste seitens der Oligarchen oder des Militärs eingeleitet werden, aber ob die sich das schon trauen?
Von wegen Nasa und führend. Die Amis mußten sich auf der russischen Raumstation einmieten. Challenger Explosion. Propaganda.
Sowohl die Russen als auch die Amerikaner haben im Weltraum Rückschläge erlitten, doch die Russen hatten und haben eine Riesennachteil. Spitzenelektronik, Spitzenoptik, Spitzen-Messtechnik usw. müssen sie nach wie vor im Westen, in Japan oder Taiwan einkaufen. Russland ist ein schrecklich rückständiges Land.
Auf dem Mond waren die Sowjets jedenfalls nicht (ob sie es, wenn schon, auch zurückgeschafft hätten, ist eh mehr als zweifelhaft). Übrigens ist die Antonow An-225, das größte Frachtflugzeug der Welt (gibt nur ein einziges Exemplar, dieses ist mehr oder weniger ständig unterwegs ), das Produkt einer ukrainischen Firma.