Eigentlich dachte ich immer: Welches Glück im 21. Jahrhundert zu leben. Noch dazu in Europa. Wir leben in Freiheit, in Frieden, in allgemeinem Wohlstand und einem belastbaren Sozialstaat, in einer Gesellschaft, in der jeder selbst entscheiden kann, welchen Weg er gehen will.

Hätten sich die Opfer der früheren Pandemien von der Pest bis zur Spanischen Grippe je vorstellen können, dass binnen weniger Monate ein Impfschutz entwickelt ist, der dem Schrecken ein Ende setzt?

Hätte sich das bildungshungrige Mädchen früherer Zeiten träumen lassen, dass es einmal überhaupt kein Thema ist, dass Mädchen natürlich studieren, was sie interessiert?

Hätte ein Oscar Wilde ahnen können, dass ein paar Jahrzehnte, nachdem er für seine Homosexualität ins Gefängnis von Reading geworfen wurde, die gleichgeschlechtliche Ehe Alltag ist?

Nur drei Beispiele für die lange Liste des Fortschritts in unserer Gesellschaft.

Und trotzdem: Wir werden zunehmend zu einem Volk von Beleidigten.

Da fühlen sich zwei Studentinnen in Linz beleidigt, weil ein Turm zu „phallisch“ ist – also muss eine Eingangs-Vulva her, um dieser Beleidigung ein Ende zu setzen. Und damit gleich auf alle Rücksicht genommen wird, die bisher noch nicht dazugekommen sind, beleidigt zu sein, bietet sich an, einen Transgender-Stern darüber wachen zu lassen.

Eine Bezirksrätin afrikanischen Ursprungs fühlt sich von einem 670 Jahre alten Apotheken-Namen beleidigt, und veranlasst die Änderung. Betreiben endlich Schweden in Österreich die Umbenennung der Schwedenbomben?

Türkische Migrantenverbände fühlen sich beleidigt, dass es zahlreiche Erinnerungen an die Türkenbelagerungen gibt. Beleidigt von der Tatsache, dass man einmal glückloser Aggressor war?

Ein Kirchenvertreter ist beleidigt und verlangt die Entschuldigung des Kanzlers, weil der etwas gegen die Steuerprivilegien der Kirche unternehmen will. Ist ja auch wirklich beleidigend, wenn man Privilegien verlieren soll, die zu Lasten der Gemeinschaft gehen.

Es gibt Wichtigeres zu tun

In einer Gesellschaft, die einen langen und erfolgreichen Weg zur Gleichberechtigung aller zurückgelegt hat, pochen plötzlich immer mehr darauf, gleicher sein zu wollen als die anderen. Wer aber wie die Genannten Ästhetik und Sexualität, wer Geschichte und Moral nicht auseinanderhalten kann, wer Privilegien als Gott gegebenes Recht empfindet, der ist offensichtlich nicht in unserem Jahrhundert angekommen. Und Universitäten, Historiker-Kommissionen und vor allem die Politik sollten aufhören, sich damit beschäftigen zu lassen.

Es gibt Wichtigeres zu tun.