Biden fordert Afghanen dazu auf, für ihren Staat zu kämpfen

Noch im Juni hatten US-Geheimdienstmitarbeiter die Lage so eingeschätzt, dass Kabul in einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten nach dem Abzug des US-Militärs unter die Kontrolle der Taliban geraten könnte. Trotz der sich schnell verschlechternden Sicherheitslage verteidigte US-Präsident Joe Biden erneut den Abzug des US-Militärs. Angesichts des jüngsten Vormarschs der Islamisten nach dem weitgehenden Abzug der internationalen Truppen sagte Biden am Dienstag im Weißen Haus, die Afghanen müssten nun „selbst kämpfen, um ihren Staat kämpfen“. Ihre Streitkräfte seien den Taliban militärisch überlegen, auch in Bezug auf die Truppenstärke.

Afghanische Sicherheitskräfte fliehen mit ihren Familien vor den TalibanWAKIL KOHSAR / AFP

Deutschland stellt Visa für afghanische Sicherheitskräfte aus

Trotz der Aufforderung des US-amerikanischen Präsidenten fliehen viele junge Männer nach Mittel- und Westeuropa und beantragen dort Asyl. Nach Deutschland flohen seit Juni mehr als 1.400 afghanische Sicherheitskräfte, Polizisten und Helfer und deren Familien aus afghanischem Gebiet via Flugzeug. Das deutsche Auswärtige Amt garantierte ihnen schon zuvor Asyl, stellte seit Ende Juni über 2400 Visa für ehemalige afghanische Sicherheitskräfte aus.

Seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen Anfang Mai haben die Taliban viele Gebiete erobert. Am Dienstag nahmen sie in kurzer Folge die achte Provinzhauptstadt ein. Nach zunächst unbestätigten Berichten soll am Abend auch die Stadt Faizabad in die Hände der Islamisten gefallen sein.

Große Teile der Landbevölkerung kämpfen nicht gegen Taliban

Der Umstand, dass die Taliban so schnell große Gebiete des Landes eingenommen haben, liegt nicht nur an der fehlenden Kampfeslust oder der Einschüchterung der afghanischen Polizisten und Militärs, deren Apparat durch Korruption und schlechte Entscheidungen der Regierung fast handlungsunfähig gemacht wurde. Auch sehen große Teile der Landbevölkerung die Taliban nicht zwingend als Feinde, in einigen Provinzen werden sie sogar jubelnd begrüßt. Dass die Taliban einen  Scharia-Staat errichten wollen, der sich streng an islamischem Regelwerk aus dem 7.Jahrhundert orientiert, scheint für viele Afghanen im Vergleich zur Armut und Aussichtslosigkeit der letzten Jahre das geringere Übel zu sein. Einzig in den Städten, wo es auch wohlhabende und westlich orientierte Bevölkerungsschichten sowie private Milizen gibt, könnte es zu blutigen Kämpfen kommen.

Auf dem Video ist zu sehen, wie sich afghanische Sicherheitskräfte kampflos den Taliban ergeben und ihnen ihre Ausrüstung überreichen. Sie grüßen sich dabei freundlich mit “Salam Alaikum”