Das Phänomen der „Covid-Wut“ erreicht mittlerweile neue Ausmaße. Neben immer größer werdenden weltweiten Protesten macht sich die Frustration über andauernde Maßnahmen und Verbote mittlerweile auch im zwischenmenschlichen Umgang bemerkbar. Besonders in Verkehrsmitteln, der Gastronomie und Krankenhäusern wird der Ton rauer.

Gesundheitspersonal unter Dauerbeschuss

Oft trifft die Wut auf Politik oder Covid-Regelverschärfungen jene, die an vorderster Front stehen – das Gesundheitspersonal. Dieses steht seit Beginn der Pandemie unter Dauerbeschuss. Neben überfüllten Krankenstationen und erschwerten Arbeitsbedingungen bekommen viele den Frust der Bevölkerung ungebremst zu spüren.

Erst am Samstag attackierte eine fünzehnköpfige Familie das Gesundheitspersonals eines oberösterreichischen Krankenhauses. Der Grund: Die 67-jährige Mutter war an Corona verstorben, die Angehörigen gaben Ärzten und Pflegern die schuld. Auch die Besuchsverbote im Lockdown und die strenge 2-G-Plus-Regelung, die in Altersheimen und Krankenhäusern gilt, stößt bei Einigen auf Unverständnis.

Wenig Verständnis für Gegenseite

Viele Frustrierte geben der Politik die Schuld, andere sprechen von der typisch österreichischen Unbeugsamkeit und Sturheit. Der eXXpress war Ende November im Anti-Corona-Camp im Wiener Stadtpark und befragte Passanten zu ihrer Meinung. Einige suchten den Dialog mit den Demonstranten, andere hatten kein Verständnis für den Protest. Es kam zu hitzigen Diskussionen und Beleidigungen auf offener Straße. Mittlerweile wurde das Camp polizeilich geräumt.

Auch bei der Corona-Demonstration vergangenen Samstag kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Diese sah sich gezwungen, Pfefferspray gegen aggressive Teilnehmer einzusetzen.

Bei der Corona-Demonstration am Samstag waren 40.000 Menschen auf der Straße. Die Polizei musste Pfefferspray gegen wütende Demonstranten einsetzen.

Fluggäste sind "zunehmend gereizt und aggressiv"

Wie der Dachverband der Fluggesellschaften IATA Anfang November mitteilte, haben sich die Vorfälle von „unruly and disruptive passengers“, also mit Fluggästen, die sich nicht an geltende Regeln halten wollten, im Jahr 2020 verdoppelt. Die Sprecherin der Schweizer Fluggesellschaft Swiss berichtete gegenüber dem „Tagesanzeiger“, dass es seit der Pandemie „häufiger zu Diskussionen mit Fluggästen kommt, die zu einer Meldung an die Behörde oder zu einem Aufgebot der Polizei am Flugzeug führen.“

Aufgrund von vermehrten „Green Pass“-Kontrollen oder zusätzlich auszufüllenden Reiseformularen seien viele Fluggäste bereits beim Einstieg „gereizt und aggressiv.“ In den USA berichten Fluglinien von bis zu einhundert Vorfällen pro Woche, die im Zusammenhang mit Verstößen gegen Hygienemaßnahmen stehen. Eine US-Fluglinie berichtete im Oktober, dass sich auf manchen Flügen bis zu 50 Prozent der Gäste nicht an die Maßnahmen halten würden.

Gastronomen stellen Sicherheitspersonal an

Generell scheinen besonders in den Vereinigten Staaten die Wogen aufgrund der Pandemie hoch zu gehen. Im Bundesstaat Washington kam es Ende November zu einer wilden Massenschlägerei in einer Kirche – einer der Besucher hatte sich geweigert, Maske zu tragen. Besonders strenge Regeln gelten an der US-Ostküste. In New York gilt schon seit dem Sommer 1G in der Gastronomie.

Viele Betreiber sahen sich aufgrund des aggressiven Verhaltens mancher „ausgestoßener“ ehemaliger Gäste genötigt, Sicherheitspersonal anzustellen und hängten „be kind or leave“-Schilder („sei freundlich oder geh“) an ihre Türen. Auch in Österreich kommt es aufgrund verschärfter Maßnahmen immer wieder zu Auseinandersetzungen in der Gastronomie. So führte die gesetzlich vorverlegte Sperrstunde im Sommer zu Ärger bei vergnügten Gästen – in Oberösterreich und in Kärnten kam es zu Massenschlägereien im Gasthaus.

Psychiater:"Respekt gegenüber Institutionen hat abgenommen"

Der forensische Psychiater Frank Urbaniok erklärte das Phänomen der „Corona-Wut“ gegenüber dem Schweizer Tagesanzeiger folgendermaßen: „Die Stimmung in der Gesellschaft ist seit Langem aufgeheizt, es herrscht eine eigentliche Empörungsbewirtschaftung. Das führt zu Angespanntheit und erhöhter Reizbarkeit. Und das wiederum dazu, dass Respekt und Normen verloren gehen.“

Auch würden „Tabus immer öfter verletzt. Der Respekt gegenüber Institutionen hat abgenommen, aktiv geschürt durch politische Parteien. Das hat Auswirkungen: Auf einmal tun breite Bevölkerungskreise Dinge, die früher undenkbar gewesen wären. Die Grenzen dessen, was als akzeptabel gilt, geraten ins Rutschen.“

Haben Sie das Gefühl, seit Beginn der Pandemie öfters gereizt oder wütend zu sein?