Der Bericht macht aber eines deutlich: Der gesamte Wirecard-Skandal basiert auf einer ganzen Reihe von Behörden- und Kontrollversagen. Die Bewertung, die ntv.de vorliegt, zeichnet ein erschreckendes Bild. So werden Deals mit Drittkunden (TPA) von Wirecard als “Dreh- und Angelpunkt für den Bilanzbetrug im großen Stil” bezeichnet. Unter “Kernergebnisse” der Beweisaufnahme heißt es, das TPA-Geschäft hätte es “operativ schlichtweg” nicht gegeben. “Die Treuhandkonten, auf denen die angeblichen 1,9 Milliarden Euro Sicherheit für das TPA-Geschäft hinterlegt waren, existierten nie.” 2018 wiesen die Zahlen angeblicher Deals mit Drittanbieter fast 50 Prozent des Umsatzes und ungefähr 90 Prozent des Konzerngewinns aus, jedoch sollen diese nichts als Erfindung gewesen sein.

Und was ebenfalls jetzt bestätigt ist: Diverse Beraterfirmen und Berater kassierten in nur vier Jahren 657 Millionen Euro für ihre Leistungen (?) für Wirecard. Dass es bei diesen horrend hohen Zahlungen immer um tatsächlich erbrachte Dienstleistungen ging, muss die Justiz noch aufarbeiten.

644.000 Euro täglich für Berater

Zahlen, die erst wirklich greifbar werden, wenn man sie genauer unter die Lupe nimmt. So bedeuten die 657 Millionen Euro, die über vier Jahre an Berater geflossen sein sollen, dass täglich (!) rund 644.000 Euro gezahlt wurden. Mit einem doch recht ordentlichen Tagessatz von 2500 Euro pro Kopf, hätte man sich somit mit nicht weniger als 257 Beratern umgeben können.

Milliardenverluste seit 2016

Weiters ist zu lesen: “Die Bilanzmanipulation funktionierte, indem sich die Wirecard AG die Kunden und damit die Umsätze der TPAs ausdachte.” Auch soll eine fiktive Abwicklungsgebühr als “Ertrag” in den Büchern ausgewiesen worden sein und hätte sich auf die bekannten 1,9 Milliarden Euro summiert. “Das fiktive Geld wurde auf nicht existente Treuhandkonten scheinbar gezahlt, um eine Nachweisbarkeit des Geldes zu erschweren.” Um die “hohen ausstehenden Forderungen in Cash-Positionen umzuwandeln”, hätte es die gefälschten Konten gegeben. Auf diesem Weg soll Wirecard an das Geld der Anleger und Banken gekommen sein. Allerdings wurde festgehalten, dass es keine Anhaltspunkte für Geldwäsche gegeben hätte.

Auf Grund der Aussagen des Wircard-Insolvenzverwalters, kommt die Koalition zu dem Schluss, dass das Unternehmen – rechnet man die TPA-Geschäfte heraus – seit den Jahren 2016 und 2017 Verlust gemacht hätte. Am Tag der Veröffentlichung der Insolvenz – Fremdmittel von rund 2,8 Milliarden Euro aus den letzten Jahren nicht mehr vorhanden.”

Marsalek kein Einzeltäter

Alle Fraktionen betonten stets, sich nicht strafrechtlich zu betätigen, sprich keine entsprechenden Beweise zu sammeln. Ein mögliches Urteil obliege allein den Gerichten. Zudem ist man sich einig, dass die Theorie, der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Ex-Vorstand Jan Marsalek wäre Einzeltäter und hätte “ohne Mitwissen oder Beteiligung weiterer Führungskräfte des Konzerns den Betrug geplant und ausgeführt”, “nicht haltbar” sei. Der Ausschuss habe “unmissverständlich” erarbeitet, “dass es sich um einen kollektiv ausgeführten Bilanzbetrug” handele und Ex-Vorstandschef Markus Braun “erheblichen Anteil” daran habe. Braun, aktuell in U-Haft, sieht sich allerdings als Opfer.

Sämtliche Kontrollsysteme hätten versagt

“Das interne Kontrollsystem des Konzerns wurde gezielt ineffektiv gehalten. Wichtige Kontrollstrukturen wurden erst spät oder gar nicht aufgebaut”, sind sich SPD und CDU einig. Auch der Aufsichtsrat muss sich Kritik gefallen lassen: Als oberstes Kontrollorgan habe er “über viele Jahre versagt”. Den Rechnungsprüfern von EY werden ebenfalls “schwere Versäumnisse” zur Last gelegt. “Kein anderer hätte bessere Möglichkeiten gehabt, den Verdachtsmomenten auf Bilanzbetrug konsequent nachzugehen und diese frühzeitig festzustellen. Dies wurde unterlassen.” EY wird von der Politik Verschleierungstaktik vorgeworfen, um die Öffentlichkeit zu täuschen. Von anderer Stelle wird gegen das Unternehmen ermittelt.

Politisches Hickhack

“Mit den Aufsichtsbehörden gehen wir nicht zimperlich um”, sagte der SPD-Abgeordnete Jens Zimmermann. Politische Anschuldigungen gegen Scholz und dessen Ministerium seien “vollständig entkräftet” worden. “Das ist mit Sicherheit für viele eine Überraschung.” Hauptverantwortung für den Skandal trage EY. “Auch CDU und CSU sind uns am Ende an der Stelle gefolgt, obwohl auf den Kollegen Hauer aus seiner Fraktion immens viel Druck ausgeübt wurde. Ich glaube, er ist in den U-Ausschuss mit dem Kampfauftrag geschickt worden, Olaf Scholz mit voller Breitseite anzugreifen.”

“Scholz und die SPD standen nur auf der Bremse”, sagte hingegen Matthias Hauer, U-Ausschuss-Mitglied der CDU. Ein Schwerpunkt der SPD sei von Beginn an gewesen, den Skandal auf den Wirtschaftsprüfer EY zu schieben, um Scholz aus der Schusslinie zu nehmen. “Bei der Bafin muss man von multiplem Versagen sprechen.” Scholz habe sich jahrelang im Tiefschlaf befunden. “Dass Zimmermann so tut, dass die Union erst zum Ende des Ausschusses auf den Trichter gekommen sei, dass auch EY Schuld treffe, ist genauso unsinnig wie die Behauptung, die Führung der CDU/CSU-Fraktion habe mich unter Druck gesetzt. Schließlich kam beispielsweise die Idee des EY-Sonderermittlerteams von uns.”