Inmitten der öffentlichen Attacken auf den bayerischen Vize-Ministerpräsidenten und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (52, Freie Wähler) meldet sich nun Prof. Michael Wolffsohn (76) zu Wort. Der prominente Historiker und Buchautor, der als Sohn und Enkel von Holocaust-Überlebenden 1947 in Tel Aviv geboren wurde, erhebt ebenfalls schwere Vorwürfe – aber nicht gegen den Chef der Freien Wähler, sondern gegen seine Kritiker. Als Jude wehrt er sich gegen den Missbrauch des Antisemitismus-Vorwurfs für politische Zwecke, wie Wolffsohn unterstreicht. Überdies ortet er „unsaubere Methoden“, auch bei der „Süddeutschen Zeitung“, die mit Blick auf ihre Berichterstattung über Juden ebenfalls keine weiße Weste habe.

Michael Wolffsohn lehrte von 1981 bis 2012 Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München. Er ist Autor der Bücher: „Eine andere Jüdische Weltgeschichte“ (2022) und „Ewige Schuld? 75 Jahre deutsch-jüdisch-israelische Beziehungen“ (2023).www.stephan-roehl.de

Acht Argumente für Aiwanger und gegen seine Kritiker

Die deutsche Tageszeitung hatte Aiwanger am Freitagabend mit einem Bericht schwer unter Druck gesetzt – der eXXpress berichtete. Sie behauptete – nach jetzigem Wissensstand zu Unrecht – , dass Aiwanger als Schüler vor 35 Jahren ein Flugblatt hergestellt und verbreitet habe, in dem höchst abstoßend über das Vernichtungslager Auschwitz gespottet wurde. Wolffsohn nimmt Aiwanger, dessen Partei er nicht wählt, in Schutz. In einem Gastkommentar für die „Bild“ erklärt er mit acht Argumenten, warum es nicht Aiwanger ist, der Kritik verdient, sondern vielmehr seine Kritiker.

Erstens: Hubert Aiwanger fiel „nie durch irgendwelche antisemitischen Äußerungen auf“.

Zum Flugblatt: „widerwärtig, „menschenverachtend“, aber „nicht antisemitisch“

Zweitens: Das Flugblatt sei „ekelhaft, „widerwärtig, „menschenverachtend“, aber: „Nicht jeder Dreck ist zugleich antisemitisch“. Wolffsohns Begründung: „Antisemiten machen Juden als Juden verächtlich. Sie fordern die Benachteiligung und sogar Ermordung. Kein Wort davon in diesem dreckigen Text.“

Das Flugblatt sei aber sehr wohl abstoßend, „weil es tändelnd über die Hölle auf Erden witzelt, nämlich über nationalsozialistisch-deutsche Vernichtungslager Auschwitz. Dort wurden rund 1,3 Millionen Menschen ermordet, davon 1,1 Millionen Juden. Darüber machen anständige Menschen keine Witze.“

Die Zeugen sind fragwürdig, Kritiker arbeiten mit Sippenhaftung

Drittens: Wie die NZZ und der eXXpress kritisiert auch Wolffsohn, dass alle Zeugen auf Anonymität bestehen. Im konkreten Fall verringert das aus seiner Sicht ihre Glaubwürdigkeit. Man fragt sich nämlich: Warum? „Seltsam: Für eine gute Sache – also den Kampf gegen Antisemiten – nicht mit offenem Visier kämpfen?“

Wolffsohns vierter Kritikpunkt ist ein besonders scharfer: Er wirft Aiwangers Kritikern die Verwendung diktatorischer Methoden vor. Nicht Hubert Aiwanger, sondern sein Bruder soll nämlich, wie sich nun herausstellt, das Flugblatt verfasst haben. „Wenn es stimmt, dann nutzen die heutigen Nazi-Gegner Methoden, die sonst nur in Diktaturen üblich sind, nämlich: Sippenhaftung.“

Für Michael Wolffsohn steht fest: „Als Jude wehre ich mich dagegen, dass Denunzianten uns Juden für ihre tagespolitischen Zwecke missbrauchen.“

Missbrauch des Antisemitismus-Vorwurfs für parteipolitische Ziele

Damit ist der deutsch-jüdische Historiker beim fünften Kritikpunkt angelangt: Die Nazi- bzw. Antisemitismus-Keule wird primär als Instrument für politische Zwecke eingesetzt – auch das hat der eXXpress bereits kritisiert.

Wolffsohn: „Kurz vor den Wahlen in Bayern wollen sie den konservativen Aiwanger und seine Freien Wähler als Nazis und, daraus abgeleitet, Antisemiten abstempeln. Wer konservativ mit ‚Nazi‘ und ‚Antisemit‘ gleichsetzt, ist ahnungslos und verleumderisch. Wer es dennoch tut, lasse uns Juden aus diesem miesen Spiel raus.“

Nur Konservativen werden jugendliche Dummheiten ein Leben lang vorgeworfen

Sechstens messen die „hysterischen Aiwanger-Kritiker“ in Wahrheit „mit zweierlei Maß“, denn: „Konservativen werfen sie jugendliche Dummheiten, Widerwärtigkeiten, Fehler oder Straftaten lebenslänglich vor und fordern noch Jahrzehnte später, also heute, Konsequenzen.“ Als Gegenbeispiel nenn Michael Wolffsohn den ehemaligen Außenminister Joschka Fischer von den Grünen, der heute als Staatsmann gilt.

Heute gilt Joschka Fischer als Staatsmann. In jungen Jahren hat er einen Polizisten verprügelt.APA/AFP/John MACDOUGALL

„Dabei hatte er mit 25 Jahren einen Polizisten, also einen Staatsbeamten, brutal verprügelt. Vergeben und vergessen. Weil Joschka grün und Aiwanger konservativ ist?“

Man soll Aiwanger zubilligen, sich gewandelt zu haben

Siebtens: Man soll auch Aiwanger zubilligen, sich gewandelt zu haben – so wie Joschka Fischer, bei dem das ebenfalls der Fall war.

Als weiteres Beispiel nennt Wolffsohn die SPD-Politikerin Sawsan Chebli, die als Jugendliche selbst „bekennende Antisemitin“ war. In einem mittlerweile gelöschten Posting auf ihrem X-Account hatte sie freilich erklärt: Als Schüler verfasste Aiwanger ein antisemitisches Flugblatt, das alles überschreitet, was man für möglich gehalten hat.“ Doch bei Aiwanger gelten eben andere Maßstäbe.

Auch „Süddeutschen Zeitung“ hat bei Antisemitismus keine weiße Weste

Achtens: Schwer wiegt, was der Historiker der „Süddeutschen Zeitung“ vorhält: In Bezug auf Juden hat selbst ihre Weste dunkle Flecken. Erinnert sei, dass sie zum Beispiel eine Karikatur über (sprich: gegen) Israels Ministerpräsidenten Netanjau veröffentlichte, die sich nicht wirklich von den extrem antisemitischen Judenzeichnungen der Nazis unterschied.

Es sei das gute Recht der SZ, gegen die jetzige Koalition aus CSU und Freien Wählern in Bayern zu schreiben. „Aber weder Aktivismus noch Verdachtsjournalismus sind Qualitätsjournalismus.“

Wolffsohns Fazit: „Gerade, wer auf dem moralisch hohen Ross sitzt, sollte den Gegner nicht mit unsauberen Mitteln politisch vernichten wollen. Denunziantentum ist inakzeptabel – auch wenn man, wie ich, nicht die Partei Aiwangers wählt. Und, liebe deutsche Mitbürger, hört mit den unsäglichen Judenspielen auf, wenn ihr eure persönlichen oder politischen Süppchen kocht.“