1,13 Millionen illegale Migranten stellten im Jahr 2023 einen Asyl-Antrag in der EU (plus Norwegen und Schweden), 58.610 davon in Österreich. Das ist ein europaweiter Anstieg um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr (966.000 Anträge) und der höchste Wert seit der Flüchtlingskrise 2016. Mit einer Entspannung ist in diesem Jahr nicht zu rechnen. Im Gegenteil.

Nach Einschätzung des „International Centre for Migration Policy Development“ (ICMPD, deutsch: Internationales Zentrum für die Entwicklung von Migrationspolitik) wird die Zuwanderung nach Europa erneut steigen. „Wir sehen keine Anzeichen für einen Rückgang der Zahlen“, sagt ICMPD-Chef Michael Spindelegger. Österreichs ehemaliger Vizekanzler und Vizekanzler rechnet mit noch mehr Migranten aus Krisenregionen, wie Afghanistan und dem Gazastreifen, sagt er gegenüber dem „Handelsblatt“. Auch aus der Ukraine könnten mehr Menschen kommen, falls Russland die Bombardierung ukrainischer Städte intensiviert. Eine genaue Prognose will das ICMPD in den kommenden Tagen vorlegen.

Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger übernahm im Jänner 2016 die Leitung des Internationalen Zentrums für die Entwicklung von Migrationspolitik (ICMPD) in Wien.APA/HANS KLAUS TECHT

Asylreform der EU wird in den Jahren 2024 und 2025 nichts ändern

Dass die kürzlich von der EU beschlossene Asylreform am Zustrom etwas ändern wird, bezweifelt Spindelegger. Denn sie tritt erst 2026 in Kraft: „Für dieses und nächstes Jahr brauchen wir uns keine Erleichterung zu erhoffen.“ Grundsätzlich befürwortet der ICMPD-Chef, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten auf einen gemeinsamen Weg einigen konnten. Bei den bevorstehenden Europawahlen würden sie damit aber nicht punkten.

Die Staatschefs und das Europaparlament wollten die Reform unbedingt vor den Wahlen im Juni beschließen. Sie hoffen so den Zuspruch für Rechtsparteien abzuschwächen, die mit besonderem Nachdruck vor der unkontrollierten Einwanderung warnen. Spindelegger winkt ab: „Es wäre für mich ein neues Erlebnis, wenn eine Richtlinie oder Verordnung der Europäischen Union tatsächlich beim Wähler etwas bewirkt.“ Zuwanderung werde im Wahlkampf voraussichtlich ein wichtiges Thema sein.

Dem EU-Parlament könnte 2024 ein Rechtsruck bei den Wahlen bevorstehen.

Bilaterale Abkommen mit Herkunftsländern nötig

Um abgelehnte Asylwerber zurückzuschicken, sollten die europäischen Regierungen bilaterale Abkommen mit Drittstaaten schließen, fordert Spindelegger. Sofern diese Staaten ebenfalls davon profitieren, würden sie sich darauf einlassen. Der ÖVP-Politiker nannte legale Wege für qualifizierte Arbeitsmigranten nach Europa, die dann ihr Geld nach Hause schicken. Aus seiner Sicht sei das – im Gegensatz zu jetzt – eine Win-Win-Situation. Die legale Einwanderung werde immer wichtiger werden, weil europäische Unternehmen zunehmend händeringend Arbeitskräfte suchten. Anstelle von Asylwerbern in der Grundsicherung hätte Europa dann dringend benötigte Arbeitskräfte, meint Spindelegger. Die Nachfrage werde weiter steigen, sobald die Wirtschaft wieder wächst.

Dass man bisherigen Asylwerbern eine Arbeitserlaubnis gewährt, lehnt Spindelegger aber ab: „Das wäre eine Einladungskarte für Hunderttausende neue Flüchtlinge, die dann diesen Weg wählen.

Im ICMPD sind 20 Staaten Mitglied. Die 1993 gegründete Organisation wird von den UN und der EU gefördert.