Der Mensch ist nur ganz Mensch, wenn er rebelliert

Schwülstige staatskulturelle Inszenierungen haben mich schon immer zu subversiven Aktionen provoziert. So habe ich einst mitten in der Moskauer Tretjakow-Galerie, in der es erdrückend würdig wie in einem Himmelreichsaal der Zeugen Jehovas zugegangen ist, meinen automatischen Regenschirm, in der Sowjetunion damals eine technische Sensation, aufgespannt. Das laute „Wupp“, mit dem sich der Schirm öffnete, hallte durch die hohen Räume und beglückte mich. Ich wurde postwendend aus der Galerie geworfen und nutzte die Zeit sofort dazu, mir an einem Stand mit Parteidevotionalien, der sich direkt neben dem Eingang des Kulturtempels befand, zwanzig Lenin-Abzeichen zu kaufen und sie mir allesamt anzustecken. Ich wollte aussehen wie ein Held des großen vaterländischen Krieges. Auch dieser kleine Spaß war im totalen Volksstaat nicht willkommen. Zwei düster blickende Männer drängten mich in eine Ecke und baten mich nachdrücklich, den Parteikitsch, für den ja die KPdSU und nicht ich verantwortlich war, von meiner Jacke zu entfernen. Aber auch in Österreich gibt es Skurriles zu entdecken. Zum Beispiel den Radiosender „Pirate Radio“. Alleine schon seine Eigentumsverhältnisse sind der aufmerksamen Rezeption wert. Am Sender sind zumindest indirekt Benkos Signa Holding, die Fressnapf Luxembourg GmbH und viele andere eigentümliche Stakeholder beteiligt. Das Programm des Senders ist aber außerordentlich gut und ich bin seit Wochen förmlich süchtig danach. Man kann dort am Morgen eine hervorragende Melange aus dem Pop-Segment der Alternative Music hören, die einem tatsächlich an bessere Zeiten denken lässt als die, in denen man nun zu leben gezwungen ist.

Die Wiener ÖVP, eine weitere Skurrilität

Unlängst habe ich auf „Pirate Radio“ den Song „Touch Me I´m Sick“ von Mudhoney gehört, ein tolles Lied, das mit der erotischen Anziehungskraft des Morbiden und Abgründigen spielt. Nachdem ich auch Fan der Band Mayhem bin, ist mir der wohlige Schauer, den das Unheimliche und Mysteriöse verursachen kann, nicht fremd. Interessant war aber, dass ich, während ich den Song hörte, immer wieder an die Kandidatenpräsentation denken musste, die der Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer am Vortag präsidiert hatte. Kein Slogan hätte dieses Schauspiel besser repräsentieren können als der düster-süße Claim „Touch Me I´m Sick“. Denn die ÖVP Wien ist tatsächlich so kaputt, dass sie in jedem Gothic Rock-Fanzine, die ja alle der Verehrung des Verfallenden gewidmet sind, den Gegenstand des Leitartikels abgeben hätte können. Die Ästhetik des ÖVP-Events war auf eine wohl ungewollte Art anziehend für alle Liebhaber von skurrilen Untergangswelten. Ob das Potential dieser Zielgruppe dafür ausreichend sein wird, um die Partei bei den kommenden Wahlen zu einer relevanten politischen Kraft in Wien zu machen, darf man wohl mit Recht anzweifeln.

Skurril: Der historische Kompromiss auf Niederösterreichisch

Ist die Wiener ÖVP ganz offensichtlich bereits am Endpunkt ihres Daseins angekommen, so ist die Bundes-ÖVP von diesem noch ein paar hundert Meter entfernt. Die Führungsclique müsste den Absturz kommen sehen, sieht ihn aber nicht, weil sie seit Wochen mit fest zusammengekniffenen Augenlidern und den Fingern in den Ohren durch die politische Landschaft tanzt und laut den Song „Touch Me I´m Sick“ singt. An der Spitze der ÖVP steht nun ein Original aus der Provinz, der ehemalige Vize-Bürgermeister von Wr. Neustadt, Christian Stocker. Er wirkt dermaßen retro, dass einem sofort die Konterfeis von Ignaz Seipel, Julius Raab und Leopold Figl durch den Kopf schießen, wird man seiner ansichtig. Von der Vergangenheit patiniert und zukunftsvergessen wirkt auch der Koalitionspartner der Schwarzen, die vom Marxist-Leninisten Andreas Babler angeführte SPÖ. Also ein idealer Partner für eine konservative Partei. Das konservativ-leninistische Rettungskommando hat aber keine frischen politischen Ideen anzubieten, sondern nur schlecht gealterte Ideologien in abgelaufenen Konserven. Mehr Sozialpartnerschaft wagen lautet die Kernidee des dynamischen Duos. Leider ist aber die Sozialpartnerschaft nichts anderes als eine fossile Funktionäre-Herrschaft, die nach dem Prinzip „wer sich als erster bewegt, der hat verloren“ dysfunktional vor sich hin vegetiert. Aber das ist alles völlig egal, geht es doch den an dieser Koalition Beteiligten nur um einen gemütlichen Platz am Privilegientrog und nicht um die echten Reformen, die sich Beate Meinl-Reisinger wünscht. Aber auch sie hat ihren Reformeifer der Befriedigung der persönlichen Eitelkeit geopfert. Ein Ministeramt wird sie für den Verzicht auf ihre Ideale entschädigen.

Die skurrile Flucht vor dem Bürger

Die Parteifeiglinge von ÖVP und SPÖ sind vor dem Bürger auf der Flucht. Neuwahlen würden die beiden Parteien wohl zerstören. Um das fürchterliche Ende hinauszuzögern, lässt man ein paar Figuren aus der dritten Garnitur regieren. Dass die politische Kultur im Land völlig kaputt ist, sieht man alleine daran, dass Muna Duzda und Oliver Scheiber für das Amt des Justizministers zur Diskussion stehen. Offenbar sind die beiden extrem linken Horrorclowns eine Idee der Anti-Kurz-Fraktion in der ÖVP. Sie sollen wohl Sebastian Kurz das Leben verleiden. Denn den diskreten Beutegemeinschaften der Politik war die persönliche Rache schon immer wichtiger als das Wohl der Staatsbürger. Wobei das Schlimmste dieser Regierung die progressiv-neoliberale Caritaspartei der Neos sein wird. Wie Annalena Baerbock in Deutschland wird die traurige Mitleidspartei dafür sorgen, dass unser Land weiter mit jungen Männern aus Afghanistan, Syrien, Palästina und dem Irak vollgestopft wird. Offenbar ist man bei den Gesinnungsethikern der Auffassung, dass die Kriminalstatistik noch durch ein paar Sexual- und Gewaltverbrechen angereichert werden sollte. Wer noch immer glaubt, dass man kulturfremde muslimische Fanatiker in die mitteleuropäische Kultur integrieren und sie zivilisieren kann, der glaubt auch daran, dass das wichtigste Handlungsmotiv der Politiker das Wohl der Bürger ist. Tatsächlich geht es ihnen aber ausnahmslos darum, ihr Bedürfnis nach Ansehen und Privilegien zu befriedigen. Zumindest von denen, die nun am Werk sind, ist nichts anderes zu erwarten. Weitere bittere Jahre stehen uns ins Haus. Wir werden sie ertragen, wenn wir die Stocker-Babler-Truppe nicht ernst nehmen und sie lediglich als Comedy-Club zu unserer Erheiterung begreifen und uns die Zeit mit skurrilem Kitsch vertreiben. Ich werde vielleicht damit beginnen, Marienstatuen aus Lourdes zu sammeln.

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Kommentare

  • nannyogg sagt:

    Morgen 1.3.2025,13 Uhr, Parlament Wien
    Demo für Neuwahlen/gegen diese Horror-Koalition!

    Es ist Zeit, dass auch die “normalen” Leute auf die Straße gehen, nicht nur die linken Krawallmacher!
    Es geht um Österreich !

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    1. Maria Englstorfer sagt:

      Motiv gut-aber was soll das bringen? Wenn nicht einmal wählen was bringt – denn der mehrheitliche Wunsch nach Mitte rechts endete in Links mit dem Argument: weil es “moralisch” ist, ein falsches demokratisches Votum von Wählern zu verhindern. Sprich: die Wähler wählten falsch.

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  • frech sagt:

    genial gewchrieben!

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  • Michael P. sagt:

    “Wir werden sie ertragen, wenn wir die Stocker-Babler-Truppe nicht ernst nehmen und sie lediglich als Comedy-Club zu unserer Erheiterung begreifen”
    Nein, dafür kommen sie uns zu teuer.

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  • Franz Zotter sagt:

    Was mir zunehmend in Österreich fehlt, ist ein Format, in dem grundlegende gesellschaftliche Fragen wirklich tiefgehend behandelt werden. Ein Format, das sich mit den eigentlichen Ursachen unserer aktuellen Entwicklungen auseinandersetzt, anstatt sich in der medialen Endlosschleife über die neuesten Ausrutscher von Politikern zu verlieren.

    Wir verbringen zu viel Zeit damit, über politische Nebenschauplätze zu diskutieren – wer was zu wem gesagt hat, welcher Minister einen Fehler gemacht hat oder welche Partei gerade im Umfragehoch ist. Das sind jedoch nur Symptome, nicht die Krankheit selbst.

    Die Politik ist letztlich nur ein Ausdruck des gesellschaftlichen Zustandes. Was wir bräuchten, sind Gesprächsräume, in denen wir ehrlich und ohne ideologische Scheuklappen über die grundlegenden Veränderungen in unserer Gesellschaft sprechen können. Über Identität, Zusammenhalt, über die Frage, was eine Gemeinschaft eigentlich zusammenhält.

    Stattdessen befeuern unsere Medien eine oberflächliche Empörungskultur, die nichts zur Lösung unserer Probleme beiträgt. Auch die FPÖ kann dieses Problem der zunehmenden Spaltung nicht allein lösen – keine einzelne Partei kann das, weil die Herausforderungen viel tiefgreifender sind als parteitaktische Überlegungen.

    Was wir brauchen, sind Stimmen und Plattformen, die sich trauen, die unbequemen Fragen zu stellen und ernsthaft zu diskutieren. Vielleicht ist der Erfolg alternativer Medien ein Hinweis darauf, dass viele Bürger genau diese Art von Tiefgang suchen. Denn erst wenn wir bereit sind, ehrlich über die Grundlagen unserer Gesellschaft zu sprechen, können wir die zunehmende Spaltung überwinden.

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    1. Angiel sagt:

      Spaltung entsteht dadurch, dass eine demokratische Partei einfach ausgeschlossen wird und vom Gegenüber moralisch bewertet wird! Beides dürfte nicht sein! VdB praktiziert es aber selber!

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      1. Definition sagt:

        @Zotter : guter Beitrag ! Allerdings verliert er sich wieder in nebulosen Betrachtungen von “Staat” und “Gesellschaft”, völlig vergessend , dass beide Gebilde aus der Ursubstanz “Mensch” besteht.
        Ich wette, eine großangelegte Studie über die Entwicklung des menschl.Gehirnes (durch Umwelt, Genetik beeinflusst…) und die daraus ableitbaren Zustandsbeschreibungen der Jetztzeit würde uns erstaunliche Erkenntnisse bringen.
        Der Mensch ist übrigens die einzige Spezies auf diesem Planeten, die es schafft , sich durch Beschränkung der Reproduktion selber zu gefähren….

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  • Franz Zotter sagt:

    Das eigentliche Problem liegt tiefer als Parteipolitik

    Wenn wir nur auf politische Koalitionen und Wahlergebnisse schauen, sehen wir nicht, worum es wirklich geht: Unsere Probleme werden nicht durch Parteien oder neue Regierungsbündnisse gelöst. Diese verschärfen die Probleme sogar noch, während die wahren Ursachen in der Spaltung unserer Gesellschaft liegen. Auch die FPÖ kann dieses Problem der zunehmenden Spaltung nicht allein lösen, da es tiefer in den gesellschaftlichen Strukturen verankert ist als reine Parteipolitik es erreichen kann.

    Unsere Gesellschaft driftet immer stärker auseinander. Was früher durch gemeinsame Werte und Kultur verbunden war, zerfällt heute in getrennte Gruppen. Früher gab es trotz politischer Unterschiede ein verbindendes “Wir” und ein gemeinsames Ziel – der Diskurs drehte sich um den Weg dorthin, nicht um völlig verschiedene Gesellschaftsentwürfe. Dieses Zugehörigkeitsgefühl wird heute untergraben und durch massive Einwanderung von Menschen mit völlig anderen kulturellen Hintergründen dramatisch verschlimmert.

    Was sind die tieferen Ursachen? In einem Kontrafunk-Kommentar spricht Markus Vahlefeld von einem grundlegenden Problem: “Die liberale Demokratie in Deutschland ist krachend gescheitert”. Sie wurde zum Etikettenschwindel – höhlt genau die Freiheiten aus, die sie schützen will.

    Manfred Kleine-Hartlage erklärt in seinem Buch “Die liberale Gesellschaft und ihr Ende” (2019): Der Liberalismus braucht ein stabiles kulturelles Fundament, das er selbst zerstört. Freiheit kann nur in einem gefestigten kulturellen Rahmen bestehen.

    Die europäische Kultur mit ihren Errungenschaften konnte nur entstehen, weil es eine gewachsene kulturelle Identität gab. Dieses Fundament wird heute von vielen Seiten angegriffen.

    Es wird Zeit, die wahren Ursachen zu betrachten und die falsche Gegenüberstellung einer “vernünftigen Mitte” und “gefährlichen Rändern” zu überwinden. Wir müssen zwischen Wunschvorstellungen und Realität unterscheiden. Man kann sich multikulturelle Gesellschaften ohne gemeinsame Identität erträumen – aber sollten wir nicht offen diskutieren, ob Vahlefeld und Kleine-Hartlage mit ihrer Analyse der selbstzerstörerischen Mechanismen des Liberalismus und der Notwendigkeit kultureller Kohärenz recht haben? Diese Frage verdient eine ehrliche Debatte.

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  • Angiel sagt:

    Dieses intrigante Schauspiel, das uns von der Politik mit Hilfe von VdB und den drei nach dem Futtertrog gierenden Parteien vorgeführt wurde, zeigt eigentlich, welche Charaktäre sogar an die Spitze des Staates gewählt werden! Haben wir es zur Zeit mit einem Werteverfall zu tun? Ist es eine scheinheilige Welt, die ihren Moralnarzissmus, die eige Selbstgefälligkeit und Selbstbestätigung auf Kosten von Mitbewerbern(FPÖ und deren Wähler) und auf Kosten des Staates bzw. des Steuerzahlers ausleben möchte? Der Mensch zählt nicht mehr, der Staat wird ruiniert !
    Meine Frage ist, wie kann sich das Volk, der Steuerzahler dagegen wehren? Müssen wir uns ein so offensichtlich intrigantes Schauspiel auf höchster Ebene in einer Demokratie tatsächlich gefallen lassen?

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  • xyz sagt:

    Alles richtig gesagt Herr Professor. Es braucht Zeit , auch Sie haben ja sehr viel Zeit gebraucht um aus der Sozentruppe auszutreten. Erst wenn die Macht in Brüssel gebrochen wird , ja erst dann gibs vielleicht die Regierung die sich das Volk gewählt hat und die es sich wünscht.

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  • bull sagt:

    Ich werde mir die Peinlichkeiten, die unser schönes Heimatland heimsuchen werden aus der Ferne ansehen. Ich habe es satt Parteien zu finanzieren, die unser hart verdientes Steuergeld an parasitäre Heuschrecken großzügig verteilen und sich gegenseitig auch noch Lamettaorden an die fettgefressene Brust heften….wie sagte einst Max Liebermann….man kann gar nicht soviel fressen wie man kotzen möchte

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    1. CT sagt:

      Dem ist nichts hinzuzufügen…
      Übrigens das “Shitbürgertum” von Ulf Poschart ist spannender zu lesen als jeglicher Psychothriller.
      Danke Herr Heinzlmeier für den Tip.

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  • Manni Sprenger sagt:

    Alles, nur nicht Räächts…

    diese Koalition der Verlierer und Systemerhaltern kam aus folgenden Gründen zustande:

    1. Wir leiden unter einem politisch ultra-links-grünen, parteiischen Bundespräsidenten, der alles tun wird, um einen Kanzler Kickl nicht anzugeloben.

    2. Die EVP, Lobbyisten aus Brüssel und Merz aus D haben massiv interveniert, um eine FPÖ-ÖVP Koalition zu verhindern. Die kurzen Scheinverhandlungen waren verlogen, die ÖVP hat betrogen!

    3. Alle Systemmedien, insbesondere der ORF, haben gegen die FPÖ gehetzt und sogar steuerfinanzierte NGO´s zu Demos gegen die FPÖ aufgerufen.

    Am Ende ist das ein Schaden für uns alle, vor allem für eine echte Demokratie und man kann leider nur noch hoffen, dass diese pseudo Regierung in sich selbst implodieren wird. Lang gebe ich ich so oder so nicht, aber jeder Tag ist verlorene Zeit…

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  • MeinungsFreiheit sagt:

    Genau so ist es, er hat wie es Adorno sagen würde nicht die nötge Schneidt dafür.

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