Auch nach der Wahl gibt es in Israel keine parlamentarische Mehrheit für eine stabile Koalition (siehe dazu die Grafik unten). Israels prominente Reporterin Lahav Harkov von der Jerusalem Post sieht daher zwei Optionen, wie sie im Gespräch mit dem eXXpress unterstreicht: Entweder Benjamin Netanjahu bringt doch noch eine Koalition zustande, indem er eine weitere Partei ins Boot holt. Das könnte zum Beispiel die neue islamische Partei Ra’am sein, deren Einzug in die Knesset die Ausgangslage verändert hat. Anders als die bisherigen arabischen Parteien lehnt sie den jüdischen Staat nicht ab und kritisiert auch nicht Israels Politik gegenüber den Palästinensern: “Sie sprechen lieber die tagtäglichen Sorgen der Menschen an”, sagt Harkov.

Ein anderes Szenario hält Harkov aber für wahrscheinlicher: gleich wieder Neuwahlen, wie bereits zwei Mal im Jahr 2020. Das hatten nicht wenige Beobachter bereits vor der Wahl befürchtet. Es wären dann die fünften Wahlen innerhalb von zwei Jahren.

Kritiker: Netanjahu will sich den Ermittlungen entziehen

Die Parteien in der Knesset sind in zwei Lager gespalten: Entweder sie wollen eine Koalition mit “Bibi” eingehen, oder sie wünschen unbedingt sein Ende als Ministerpräsident, großteils wegen der Korruptionsvorwürfe gegen ihn.

Lahav Harkov berichtet unter anderem über Israels Beziehungen zur Welt und über Neuigkeiten aus dem Büro des Premierministers. Sie hat sämtliche Persönlichkeiten aus Israels Politik interviewt, und Analysen für BBC, France 24 und Sky News geliefert.Joshua Fleisher

Lahav Harkov sieht Netanjahus Amtszeit daher zwiespältig: Als Staatsmann konnte er Erfolge für Israel erzielen. So verliefen die vergangenen Jahre vergleichsweise friedlich, sogar zwei Friedensabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und mit Bahrain wurden erzielt. Andererseits blockiere Netanjahu Israels Innenpolitik. Aktuell laufen gegen ihn drei Ermittlungsverfahren wegen Korruption. Kritiker werfen ihm vor, sich primär den Ermittlungen entziehen zu wollen. Deshalb versuche er auch so lange wie möglich Ministerpräsident zu bleiben, und zu verhindern, dass seine Nachfolger die Gesetzeslage zu seinen Ungunsten verändern.

"Die Palästinenser wollen nicht verhandeln"

Ein Thema bestimmt Israels Innenpolitik aber fast gar nicht mehr: der Konflikt mit den Palästinensern und die Zwei-Staatenlösung. Grund dafür ist der Verlauf des 1993 begonnenen Oslo-Friedensprozesses, wie Harkov unterstreicht: “Zunächst ernteten wir Terroranschläge, die Palästinenser haben sich in die Luft gesprengt. Dann, im Jahr 2000, bot Ehud Barak Jassir Arafat in den Verhandlungen 97 Prozent der Westbank an – doch Arafat lehnte ab. 2005 zogen wir uns schließlich aus dem Gazastreifen zurück – und ernteten seither von dort Raketen der Hamas. Die Israelis haben jetzt ihre eigenen Sorgen, die meisten wohnen auch nicht an der Grenze zum Westjordanland. Sie sind zum Schluss gekommen: Die Palästinenser wollen nicht verhandeln und wollen keine Kompromisse.”

Jene Parteien, die sich hinter den Friedensprozess gestellt haben, darunter die Arbeiterpartei, thematisieren ihn in den Wahlkämpfen kaum noch, weil er unpopulär ist. Tatsächlich schaffte die Arbeiterpartei, deren Ende schon von einigen prophezeit worden war, bei dieser Wahl ihr Comeback: Mit sieben Sitzen ist sie zwar nicht mehr so stark wie einst, aber inmitten von Israels zersplitterter Parteienlandschaft doch eine relevante Größe.

Saudi-Arabien kritisiert palästinensische Führung

Das Interesse am Palästinenserthema scheinen mittlerweile auch viele arabische Staaten verloren zu haben. Auch hier mache sich das Gefühl breit, dass die palästinensische Seite nicht wirklich verhandeln wolle, wie Harkov unterstreicht. Scharfe Kritik erntete die palästinensische Führung kürzlich etwa vom saudischen Prinz Bandar bin Sultan, der früher Saudi-Arabiens Botschafter in den USA war. Der Grund war die Ablehnung des Friedensabkommens zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel durch die Palästinenser:

 

 

Israels Beziehungen zu vielen arabischen Staaten sind damit heute deutlich freundschaftlicher als früher. Doch in der Innenpolitik engen verhärtete Fronten den Spielraum merklich ein.

Zum wiederholten Mal geht sich keine stabile Mehrheit nach einer Wahl in Israel aus.APA