Diplom-Ökonom Nikolaj Schmolcke (58) ist Vollprofi. Der studierte Kaufmann war unter anderem Finanzchef bei der Lufthansa und bei Vapiano. Komplizierte Konzernabschlüsse liest der Hamburger wie Lokalgäste die Speisekarte eines Restaurants: “Sie sind eine Fundgrube von Wahrheit, Lüge, Hoffnungen und Enttäuschungen”, sagt Schmolcke über oftmals undurchsichtige Bilanzen.

Die “Münchner Abendzeitung” hat dem Ökonomen Konzernabschlüsse der Signa Holding GmbH und der Signa Prime Selection AG aus dem Hause des Tiroler Immobilien-Zampanos Rene Benko (46) vorgelegt. Dessen Imperium ist – wie mehrfach vom eXXpress berichtet – wie ein Kartenhaus zusammengestürzt. Nach der größten Immobilienpleite Österreichs hinterlässt die Signa nicht nur einen Scherbenhaufen, sondern mindestens fünf Milliarden Euro an Verbindlichkeiten.

Dass es überhaupt so lange für Benko und seine Investoren gut lief, lag wohl an den unglaublichen Bilanztricks der Unternehmen. Man hätte sie durchaus rechtzeitig erkennen können, aber nicht müssen, solange der Rubel rollt.  Und der rollte sogar in Benko-Firmen, die auf dem Papier deutlich mehr Gewinn als Umsatz machten.

Bei Benko ging das: 438 Millionen Umsatz - 732 Millionen Gewinn

Das war zum Beispiel in der Signa Prime Selection so: Sie verbuchte im Jahr 2021 einen Umsatz von 438 Millionen Euro und wies hierbei einen stattlichen Gewinn von 732 Millionen Euro aus. Möglich wurde dies durch die Bewertung der Immobilien. Verkürzt ausgedrückt, ließ Benko schätzen, was er für sie künftig erzielen kann. “Durch die Höherbewertung zeigt er dann Gewinne an”, sagt Schmolcke.  Allein in besagtem Jahr 2021 wurde Benkos Immobilienbestand so um über eine Milliarde Euro aufgewertet.

Funktioniert habe dies laut Schmolcke nur, weil die Prime Selection nicht nach dem Unternehmensgesetzbuch (UGB) bilanziert hat, sondern nach Internationalen Finanzreporting Standards (IFRS). Denen zufolge können Immobilien höher bewertet werden als zu ihren Anschaffungskosten.

Die Prime Selection AG hatte 2022 kurzfristiges Vermögen in Höhe von 686 Millionen Euro, denen kurzfristige Verbindlichkeiten in Höhe von 2,7 Milliarden Euro gegenüberstanden. 2021 lag diese Unterdeckung noch bei 1,4 Milliarden Euro: “Das hat die Prime Selection gemäß ihrer Kapitalflussrechnung nicht davon abgehalten, 225 Millionen Euro an Dividende auszuschütten”, sagte Experte Schmolcke gegenüber der “Abendzeitung”.

Experte über Benko-Kredite: "Casino, Glücksspiel"

“Benko bewertete die Immobilien hoch, zeigte dadurch Gewinne an, wurde attraktiv für Investoren und sammelte Geld von Banken ein. Und dann schüttete die Prime Selection 225 Millionen Gewinne aus”, so Schmolcke. Dieses Risiko seien die Geldgeber mitgegangen. “Es kommt auf die Bereitschaft an, da mitzugehen. Die Gläubiger haben das in Kauf genommen”, sagt der Hamburger Ökonom.

Der fast ungläubig über das volle Risiko staunte, das Benko stets eingegangen war: “Das war Casino, das war Glücksspiel”, behauptet er. So habe der Tiroler Immobilien-Tycoon von 6,7 Milliarden Euro Kreditvolumen 3,6 Milliarden Euro mit variablen Zinsen geführt. Plötzlich stiegen die Zinsen, explodierten die Kosten. Ein Prozentpunkt höhere Zinsen entsprachen 36 Millionen Euro – pro Jahr. Stiegen die Zinsen wie zuletzt um über drei Prozent, entsprach dies über 100 Millionen Euro pro Jahr – zusätzlich.