Die Hamas schmeißt Siegesfeiern, stilisiert die Getöteten in eigenen Reihen als Märtyrer hoch (eXXpress berichtete). „Ist jetzt alles wieder wie zuvor?“, fragt der Wiener Nahost-Thinktank “Mena-Watch”, der Schueftan zum Interview gebeten hat. Die ernüchternde Antwort des Experten: „Es kommt darauf an, über welchen Zeitraum wir sprechen: über die nächsten paar Jahre oder über eine langfristige historische Perspektive. In der langfristigen Perspektive hat sich nichts geändert: Wir kämpfen seit 100 Jahren gegen die Palästinenser und werden, so leid es mir tut, das wahrscheinlich auch die nächsten 100 Jahre lang tun“.

Wohin fließt das Geld?

Bis auf eine kurze Zeitspanne in den 1990er Jahren, als Israelis der Fantasie anhingen, dass ein historischer Kompromiss mit den Palästinensern erreicht werden könnte, war das nie anders. Dieser Kampf habe uns Generationen lang begleitet, und er werde uns noch Generationen lang begleiten.

Denn die Quintessenz des Daseins der Palästinenser im Gazastreifen ist der Kampf gegen die Juden. Nicht nur gegen Israel, erklärt Shueftan, nicht nur gegen die Zionisten, sondern gegen die Juden.

Dan Schueftan ist Direktor des National Security Studies Center der Universität Haifa, berät seit Jahrzehnten hochrangige israelische Entscheidungsträger in Fragen der nationalen Sicherheit.

Die Menschen fragen sich immer wieder, wie sich dieser Kampf überhaupt finanzieren lässt. Der Gazastreifen hat pro Kopf viel mehr erhalten als die Menschen in Europa durch den Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg – rund zehn Mal so viel. Milliarden von Hilfsgeldern sind geflossen. Doch bei der Bevölkerung ist das natürlich nicht angekommen. „100 Prozent dieses Geldes sind in den Bau von Tunneln, Raketen und was immer sonst noch geflossen, das für den Kampf gegen Israel gebraucht werden kann. Absolut nichts wurde hingegen in den Aufbau einer Gesellschaft, einer Nation investiert – das kommt in der Prioritätenliste der Hamas schlicht nicht vor“, erklärt Shueftan.

„Wenn jemand glaubt, unter diesen Voraussetzungen sei eine langfristige „Lösung“ möglich, muss er ein Europäer sein. Lösungen gibt es für Kreuzworträtsel, aber wenn man im Nahen Osten von den Problemen mit Blick auf eine „Lösung“ spricht, dann hat man keine Ahnung, wovon man redet.“

Die Rolle des Iran

Und so seien auch die jüngsten Ereignisse nur eine weitere Schlacht in diesem endlosen Krieg gewesen. „Ich bin froh über den Waffenstillstand, denn wir haben vielleicht 80 Prozent dessen erreicht, was wir wollten – ich wäre auch mit weniger zufrieden gewesen. Das war keine Entscheidungsschlacht, sondern nur eine weitere Runde nach denen, die wir schon hinter uns haben, und weitere werden noch folgen“.

Der Raketen-Terror auf Israel durch die Hamas war nur der letzte Akt des langjährigen Konflikts.

Immer wieder brisant ist die Rolle des Irans. „Ich glaube nicht, dass der Krieg vom Iran vom Zaun gebrochen wurde, auch wenn die Iraner ihn prinzipiell unterstützten. Man muss den größeren Kontext sehen: Als Biden die US-Präsidentschaft antrat – nicht er als Person, aber die US-Demokraten, wie sie heute nun einmal sind –, ist die Wahrscheinlichkeit eines Krieges stark gestiegen, weil die Radikalen sich denken: „Wenn wir jetzt einen Krieg beginnen, wird Amerika nicht an der Seite Israels stehen.“ Biden hat die Konfrontation wahrscheinlicher gemacht, nicht weil er etwas Falsches gemacht hat, sondern weil die Erwartung besteht, dass er– im Gegensatz zu Trump – Israel nicht so unterstützen wird“, führt Shueftan aus.

Die Hamas setzte Drohnen ein um den "Iron Dome" zu überwinden

Der jüngste Konflikt sah eine unglaubliche Zahl von Raketen. Sogar „Kamikaze-Drohnen“ kamen zum Einsatz. War der „Iron-Dome“, Israels Abwehr-Schirm, vom Rakten-Terror der Hamas Überfordert?

Dan Schueftan: Nein, der Iron Dome war nicht überfordert. Er hatte eine Erfolgsquote von 90 Prozent, weitaus größer, als man das zu träumen gewagt hätte. Vor 20 Jahren hat mir jemand das Konzept des Iron Dome vorgestellt und ich habe gesagt: „Das soll wohl ein Witz sein! Das kann nicht funktionieren: Eine Rakete, die in der Luft eine andere Rakete abschießt? Wovon reden Sie eigentlich?“ Aber heute wissen wir: es funktioniert! Hätte der Iron Dome nur eine Erfolgsquote von 60 Prozent, wäre das großartig, aber er funktioniert in neun von zehn Fällen.