Hans-Georg Maaßen (61) hat in Deutschland offensichtlich viele Feinde. Erst jüngst bekräftigte der Ex-Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes: Im September 2018 fanden in Chemnitz keine rechten Hetzjagden gegen Migranten statt (siehe unten). Damals wurden mutmaßlich Fake News gestreut, um vom Delikt eines Migranten abzulenken, der einen Besucher eines Volksfests getötet hatte. Mit solcher Kritik – auch an der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und am öffentlich-rechtlichen Rundfunk – macht sich der ehemalige Präsident des deutschen Verfassungsschutzes schon seit Jahren unbeliebt. Bekanntlich entließ ihn Merkel (CDU) aufgrund seiner Klarstellungen.

Die damaligen Kanzlerin Angela Merkel (Bild) sprach weiterhin von rechten Hetzjagden gegen Migranten in Chemnitz. Als ihr Maaßen öffentlich widersprach, wurde er entlassen.APA/AFP/POOL/Michael Kappeler

Doch Maaßen will sich nicht zum Schweigen bringen lassen. Mittlerweile ist er Vorsitzender des konservativen Vereins Werteunion, die künftig als eigene Partei antreten wird. Das Programm stützt sich auf die „alte“ CDU, vor Angela Merkel. Überdies ist die Partei zu einer Koalition mit der AfD bereit.

Das passt offenbar vielen Persönlichkeiten in Deutschland nicht, unter anderem der jetzigen Innenministerin Nancy Faeser (53). Die Folgen sind bemerkenswert, wie nun bekannt wurde.

Man ist schon ein Gefährder, weil „Reichsbürger“ Videos von einem teilen?

Wie nun bekannt wurde, führt das Bundesamt für Verfassungsschutz Ex-Präsident Maaßen als sogenannten „Beobachtungsfall“. Maaßen hat den offiziellen Bescheid auf seiner Internetseite veröffentlicht. Das Online-Magazin „Tichys Einblick“ kommentiert: „Der Staat macht mobil gegen die Opposition.“ Der jetzige Inlandsgeheimdienst darf also seinen ehemaligen Chef bespitzeln, sprich: Telefonate abhören, sowie sämtliche Emails, SMS etc. überwachen.

Die Begründung des Bundesamts für diesen beachtlichen Schritt bezeichnet „Tichys Einblick“ als „geradezu albern“. Maaßen gilt erstens als Gefährder, weil der Rechtsextremist Bernhard Schaub in einem Brief an einen Freund Maaßen als „strammen Republikaner“ bezeichnet hat. Überdies hätten zweitens sogenannte Reichsbürger auf Facebook Videos von Maaßen geteilt. Maaßen kritisierte drittens in einer TV-Sendung das Vorgehen der Behörden gegen angebliche Reichsbürger als „unverhältnismäßig“. Das sind die ersten drei Begründungen.

Hans-Georg Maaßen darf auf einmal von jener Behörde beschattet werden, deren Chef er jahrelang war.Jens Fleischhauer

Man kommt aus dem Staunen nicht heraus: Diese Anhaltspunkte reichen also schon aus, um sich aus Sicht der Sicherheitsbehörden verdächtig zu machen. Grundlage sind neue Möglichkeiten des Verfassungsschutzes gegen „Delegitimierer des Staates“ – worunter praktisch jeder fallen kann, sobald er staatliche Einrichtungen oder Personen in Staatsämtern kritisiert.

Maaßen: „Angriff auf die demokratische Grundordnung von Frau Faeser“

Als „substanzlos und ungerechtfertigt“ bezeichnete Maaßen die Vorwürfe. Er ortet einen Missbrauch des Verfassungsschutzes zur Bekämpfung des politischen Gegners: „Das ist ein Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die Bundesinnenministerin, Frau Faeser.“

Einschüchtern lässt sich der ehemalige Spitzenbeamte nicht. In einem neuen YouTube-Interview erzählte er nochmals detailliert, was sich Ende August und Anfang September 2018 in Chemnitz in Sachsen zugetragen hat, als von der Kanzlerin abwärts halb Deutschland vor rechten Hetzjagden auf Migranten warnte.

Scharfe Kritik übt Maaßen an Innenministerin Nancy Faeser (Bild, SPD).

„Bis heute keine Belege für rechte Hetzjagden in Chemnitz“

Nachdem ein Migrant einen jungen Mann getötet hatte, kam es „zu Auseinandersetzungen zwischen Rechtsradikalen und nicht radikalen Personen, auch mit der Polizei“. Doch „die grundlegende Frage“ war: „Gab es nach diesem Tötungsdelikt Hetzjagden in Chemnitz?“ Hetzjagden von Rechtsextremisten hatten in der Vergangenheit stattgefunden, etwa in Rostock-Lichtenhagen. Hierfür war Hans-Georg Maaßen als Inlandsgeheimdienst-Chef zuständig. Fazit: „All meine Mitarbeiter hatten keinerlei Erkenntnisse darüber. … Dafür gibt es bis heute keinerlei Belege.“ Das erklärte Maaßen auch öffentlich.

Nachdem Ende August 2018 ein Migrant einen deutschem Mann (35) getötet hat, stellten die Menschen in Chemnitz Kerzen am Tatort auf.APA/AFP/DPA/Sebastian Willnow

Dass es dort ansonsten rechtsextremistische Straftaten gab, sei unstrittig gewesen. Allerdings hätten Hetzjagden eine „andere Qualität, als das Zeigen verbotener Zeichen und Symbole“. Nur hatten die Behörden dafür eben keine Beweise. Maaßen: „Was noch dazu kam: Ich hatte den Eindruck, hier ist eine gezielte Desinformation lanciert worden, um nicht mehr über das Tötungsdelikt zu reden, sondern nur noch über die fiktiven fabulierten Hetzjagden in Chemnitz.“

Die einzige Grundlage für die Behauptungen war ein Antifa-Video

Vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk hielt an der Berichterstattung fest und legte nach: „Danach hat die Tagesschau ein Video, das von der Antifa verbreitet worden war, gebracht: Es hätte Hetzjagden gegeben.“ Wusste die Tagesschau also mehr? „Da habe ich natürlich meine Mitarbeiter zur Rede gestellt und habe auch die Kollegen in dem entsprechenden Bundesland angerufen. Und die hatten auch keinerlei Erkenntnis. Es gab keine Strafanzeigen. Es gab keine Hinweise von Bürgern darauf. Es gab lediglich die Aussage des Regierungssprecher und Berichte in den öffentlich-rechtlichen Medien.“ Weitere Recherchen ergaben nichts Neues, egal ob bei der lokalen Polizei, der Bundespolizei, den Kriminalämtern, dem Verfassungsschutz: „Keinerlei Erkenntnisse! Einzig die Tagesschau und einige andere öffentlich-rechtliche Medien stützen sich auf das Antifa-Video und ebenso das Kanzleramt.“

Ein Bild aus anderen Zeiten, vor fast genau zehn Jahren: Merkel und Maaßen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Herbst 2014.APA/AFP/DPA/Oliver Berg

Der Verfassungsschutz teilte seine Erkenntnisse – keine Hetzjagden – auch dem Kanzleramt mit, was aber ohne Konsequenzen blieb. „Sie hörten erstaunlicherweise nicht auf, weiterhin von Hetzjagden zu sprechen.“ Alle Aussagen der Kanzlerin beruhten auf Pressemeldungen. „Und dieses Antifa-Video war nichtssagend. Es war ein Video, wie sich herausgestellt hat, von Privatleuten, das aufgenommen worden war, um zu dokumentieren, dass es eine Handgreiflichkeit gab, aber es dokumentierte eben nicht die Hetzjagden. Es war ein Video, das aus dem Zusammenhang gerissen worden war“.