In Kürze finden EU-Wahlen statt. Welche Ziele verfolgt Ungarn?

Wir erleben, dass die Europäische Union schwächer wird. Sie hat in der Weltpolitik und Weltwirtschaft nicht mehr das Gewicht von früher. Das belegen die Zahlen. Früher hatte die EU den zweitgrößten Anteil am weltweiten BIP, heute nur noch den drittgrößten. Überdies herrscht auf unserem Kontinent Krieg, und es sind keine Schritte in Richtung Frieden gelungen. Brüssel verfolgt überdies auf einen zentralistischen Ansatz, anstatt die Mitgliedsstaaten jene Probleme zu überlassen, die sie viel besser selbst lösen können.

Am Rande seines Wien-Besuchs nahm sich der ungarische Außenminister Peter Szijjarto (r., 45) Zeit für ein Interview mit dem eXXpress. (Im Bild mit Stefan Beig, l.)Ungarische Botschaft

Unser Ziel ist daher eine viel stärkere Vertretung jener Parteien im Europäischen Parlament, die auf mehr nationale Zuständigkeiten wert legen, die bereit sind, realistische und pragmatische Entscheidungen zu treffen, und nicht Geiseln von Ideologien und Dogmen sind, wie es leider der Fall war.

„Am besten arbeiten wir mit patriotischen Parteien zusammen“

Welche Regierungen betrachtet Ungarn hier zurzeit als Partner?

Mit Blick auf die Parteien haben wir offensichtlich zu jenen die besten Beziehungen, für die ebenfalls Souveränität wichtig ist, und die ihre Beziehungen zu uns auf gegenseitigem Respekt aufbauen. Die alte Kategorisierung der Politik in links und rechts ist meiner Meinung nach vorbei. Beispielsweise pflegen wir als rechte, konservative, patriotische Partei Ungarns eine wirklich gute Zusammenarbeit zu der zurzeit regierenden sozialdemokratischen Partei in der Slowakei.

Ministerpräsident Viktor Orban (l.) im Gespräch mit dem slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico: Ungarn intensiviert zurzeit seine Zusammenarbeit mit der Slowakei, auch wenn Fico Sozialdemokrat ist.APA/AFP/Ludovic MARIN

Ebenso haben wir wirklich gute Beziehungen zu Geert Wilders in den Niederlanden, und eine sehr gute Zusammenarbeit mit Vox in Spanien. Darüber hinaus pflegen wir eine gute persönliche und berufliche Zusammenarbeit mit der italienischen Regierung. Am wichtigsten ist für uns, ob eine Partei patriotisch ist und auf Souveränität wert legt. Das ist die beste Basis für gute Zusammenarbeit.

Sehr gut sind die Beziehungen der in Ungarn regierenden Fidesz-Partei auch zu Geert Wilders in den Niederlanden, sagt Peter Szijjarto.APA/AFP/ANP/Bart Maat

Gute Zusammenarbeit mit der ÖVP, viele Gemeinsamkeiten mit der FPÖ

In Österreich arbeiten Sie sowohl mit der ÖVP, als auch mit der FPÖ zusammen. Welcher Partei fühlen Sie sich am nächsten?

Zunächst eine grundlegende Feststellung: Wir respektieren alle Wahlergebnisse in anderen Ländern und den Willen der dortigen Bevölkerungen. Für wen auch immer sich die Bürger entscheiden werden: Wir arbeiten gerne mit ihr oder ihm zusammen. Aber natürlich können unsere Ansätze manchen Parteien mehr übereinstimmen, mit anderen weniger. Unsere Positionen zu illegaler Migration, zu Werten wie der Familie, zu sozialen Fragen, und zum Umgang mit Souveränität liegen sicher sehr nahe zu jenen der FPÖ. Ebenso arbeiten wir in vielen Bereichen mit der ÖVP sehr gut zusammen. Diese beiden Parteien sind uns näher als andere in der politischen Landschaft Österreichs.

FPÖ-Chef Herbert Kickl auf Besuch bei Viktor Orban in Budapest

„Viele politische Akteure Österreichs äußern sich unfreundlich gegenüber uns“

Wie hat sich Österreich in den vergangenen Jahren gegenüber Ungarns Anstrengungen auf europäischer Ebene verhalten?

Ehrlich gesagt gab es viele sehr unfreundliche Äußerungen von vielen Akteuren des politischen Lebens in Österreich. Im Endeffekt verhielt sich die FPÖ am fairsten gegenüber uns. Ich denke, dass gegenseitiger Respekt sehr wichtig ist. Egal, ob wir in einer Sache übereinstimmen oder nicht, wir sollten uns trotzdem gegenseitig respektieren. Dieser Respekt ist fehlt zurzeit in der internationalen Politik und leider auch in den Beziehungen zwischen den Staaten. Wir haben kein Problem damit, in bestimmten Fragen nicht übereinzustimmen, weil wir unterschiedliche Länder sind und unterschiedliche Ansätze verfolgen. Aber sich gegenseitig nicht zu respektieren, die demokratische Legitimität des Anderen in Frage zu stellen – das ist für uns inakzeptabel.

(v.l.) Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Viktor Orban anlässlich des Migrationsgipfels am 7. Juli 2023 in WienAPA/GEORG HOCHMUTH

Was tat die österreichische Regierung?

Nun, natürlich war sie nicht immer so freundlich wie die FPÖ. Definitiv. Aber ich denke, wir waren in der Lage, eine faire Beziehung zwischen den beiden Regierungen aufrechtzuerhalten. Wir waren in der Lage, wichtige Themen ehrlich zu besprechen, was für uns sehr, sehr wichtig ist. Auf Regierungsebene kann ich mich also nicht beschweren, vor allem nicht, wenn es um die ÖVP-Minister geht.

„Am wichtigsten ist es, Brüssels Ansatz bei illegaler Migration zu ändern“

Welche Bereiche sollten Ihrer Meinung nach auf nationaler und nicht auf EU-Ebene gelöst werden?

Die jüngsten Krisen in Europa – nicht nur der Krieg, sondern auch Covid – haben gezeigt: Viele Probleme lassen sich viel schneller und effizienter auf nationaler oder bilateraler Ebene – von Regierung zu Regierung – lösen, als auf dem institutionellen Weg über Brüssel. Thema Nummer eins ist die illegale Migration. Hier sollten wir Brüssels politischen Ansatz ändern. Man sollte illegale Grenzübertritte endlich nicht mehr als humanitäres, sondern als kriminelles Problem ansehen. Als Europäische Union müssten wir unser Bestes tun, um die Außengrenzen zu schützen. Überdies soll niemand, weder in Brüssel, noch in Berlin oder Washington, den europäischen Ländern vorschreiben, wem sie die Einreise gestatten und wem nicht. Zurzeit braucht es also eine eindeutige nationale Zuständigkeit für den Schutz der eigenen Grenze, damit nur die jeweiligen Nationen entscheiden, ob jemand in ihr Hoheitsgebiet Landes einreisen darf.

Stefan Beig im Interview mit dem ungarischen AußenministerUngarische Botschaft Wien

„Flüchtlinge müssen im ersten sicheren Land bleiben – nicht im zweiten, dritten, vierten“

Fordern Sie nun Grenzkontrollen auf nationaler Ebene oder soll die EU das Problem der illegalen Migration  selbst lösen?

Brüssel kann mit seinem jetzigen politischen Ansatz das Problem auf europäischer Ebene nicht lösen, denn einer der größten Pull-Faktoren für illegale Migration nach Europa ist Brüssels Politik. Wir müssen zuerst in Brüssel einen echten Wandel herbeiführen, damit sich die EU dieser Herausforderung stellen kann. Die EU ermutigt Migranten, zu uns zu kommen, anstatt ihnen zu sagen, dass sie draußen bleiben sollen, weil die einzige Möglichkeit, nach Europa zu gelangen, der legale Weg sein muss.

Um die illegale Migration in den Griff zu bekommen, sollte man besser nicht auf Brüssel setzen, findet Ungarn. Im Bild: Illegale Migranten standen in Lampedusa.APA/AFP/Zakaria ABDELKAFI

Wo sehen Sie die maßgeblichen Fehler der EU?

Zunächst einmal sollten wir Quoten vergessen (Anmerkung: die Zuteilung von Asylwerbern auf verschiedene Länder nach Quoten). Das ist der erste Punkt. Zweitens sollten wir ganz klar sagen, dass es Vorschriften gibt, um das Territorium eines Landes zu betreten. Wer sich nicht daran hält, darf nicht einreisen. Drittens: Wir müssen endlich das Völkerrecht ernst nehmen, denn das besagt: Wenn jemand wegen politischer Verfolgung oder aus anderen Gründen aus seiner Heimat flieht, hat er das Recht, auf dem Gebiet des ersten sicheren Landes zu bleiben – aber nicht des zweiten, dritten oder vierten. Sobald die Menschen die Grenzen sicherer Länder überschreiten, haben sie kein Recht mehr, zu uns zu kommen. Das sollten wir festlegen.

Ungarn zeigt das vor. Wer aus weit entfernten Ländern über den Westbalkan anreist, hat kein Recht, zu uns zu kommen, denn wir sind für ihn nicht das erste sichere Land. Allerdings ist ebenso die Ukraine unser Nachbarland. Für ukrainische Vertriebene sind wir das erste sichere Land, also lassen wir sie herein. Diese Unterscheidung zwischen Migranten und Flüchtlingen muss ernst genommen werden. Kurz: Wir müssten schlicht das internationale Recht respektieren.

Orban mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (r.): Zwischen Brüssel und Budapest gibt es häufig Spannungen.

„Ungarn vergibt Tausende von Stipendien an afrikanische Studenten“

Nochmals: Sollte auch Brüssel etwas tun und wenn ja: Was? Der Migrationspakt hat nach Ansicht von Ministerpräsident Orban das Problem nicht gelöst.

Wie sollten die Lösungen dorthin bringen, wo die Probleme bestehen, also den afrikanischen Ländern helfen, ihre ständig wachsende Bevölkerung zu behalten. Ungarn unterstützt sie mit Investitionen in Wirtschaft und Bildung. Wir Ungarn vergeben Tausende von Stipendien für Studenten aus Afrika. Wir geben Millionen von Euro für knapp bemessene Kreditprogramme für afrikanische Länder aus, um ihr Niveau in den Bereichen Abwasserentsorgung, Wasserwirtschaft, Hochschulbildung, öffentliche Verwaltung, Landwirtschaft, Ernährungssicherheit und so weiter zu verbessern. Anstatt den Afrikanern zu sagen, kommt nach Europa, sollten wir ihnen sagen: Bleibt zu Hause, wir helfen euch. Das wäre die wichtigste Änderung des Ansatzes.

„Müssen mit Moskau reden und Waffenlieferungen an Kiew beenden“

Sie haben die Ukraine erwähnt. Was sollte Ihrer Meinung nach getan werden, um den Krieg zu beenden und zumindest einen Waffenstillstand zu erreichen?

Die wichtigste Voraussetzung ist, die Kommunikationskanäle offen zu halten. Wenn ich mich mit meinem russischen Amtskollegen treffe, werde ich meist von vielen europäischen Kollegen und von Brüssel beschimpft. Aber meiner Meinung nach besteht überhaupt keine Hoffnung auf Frieden, wenn wir die Kommunikationskanäle nicht offen halten.

Zweitens: Stopp der Waffenlieferungen. Je mehr Waffen geliefert werden, desto länger dauert der Krieg, und je länger der Krieg dauert, desto mehr Menschen werden sterben. Drittens sollten die Kriegsparteien ermutigt werden, sich an einen Tisch zu setzen, zu verhandeln und ein Friedensabkommen zu schließen. Das ist das Wichtigste.

Wissen Sie, wir betrachten dieses Thema aus einem ganz besonderen Blickwinkel. Es gibt auch Ungarn, die in diesem Krieg sterben. Es gibt eine große ungarische Gemeinschaft in der Ukraine, deren Mitglieder für die ukrainische Armee rekrutiert und an der Front eingesetzt werden, wo sie sterben. Wir wollen daher, dass dieser Krieg aufhört.

Es ist doch offensichtlich, dass das, was bisher getan wurde, nicht erfolgreich war. Es wurden zwar viele Waffen geliefert, aber der Krieg wurde nur verlängert. Es wurde viel Geld an die Ukraine gezahlt, doch die Zerstörung der Ukraine schreitet weiter voran. Ebenso konnten die Sanktionen der EU weder die russische Wirtschaft in die Knie zwingen, noch uns einem Frieden näher bringen.

Man sollte den jetzigen Ansatz schleunigst ändern. Allerdings gibt es viel größere Länder in der Region als uns, und die müssten hier eine wichtige Rolle spielen.

„Nur mit Verhandlungen können wir die territoriale Integrität der Ukraine erhalten“

Ein Gegenargument lautet: Ohne militärische Unterstützung würde Russland weite Teile der Ukraine erobern. Können wir das zulassen?

Souveränität und territoriale Integrität müssen respektiert werden. Das steht außer Frage. Das gilt auch für die Ukraine. Aber meine Frage lautet: Was haben wir bisher getan? Wir haben eine Menge territorialer und humanitärer Verluste in der Ukraine erlebt. Ich denke: Die Erhaltung und Rettung des ukrainischen Volkes, der ukrainischen Souveränität und territorialen Integrität kann durch Verhandlungen erreicht werden, nicht durch einen Krieg, der für die Ukraine nachteilig ist.

Außenminister Peter Szijjarto (l.) mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban (r.)APA/AFP/POOL/JONATHAN ERNST

Und falls russische Truppen gegen eine wehrlose Ukraine bis nach Kiew marschieren?

Das sollte man verhindern – indem man den Krieg jetzt beendet. Solange das nicht geschieht, droht sich der Krieg weiter zu intensiveren, drohen noch mehr Menschen zu sterben. Der Krieg hätte schon gestern beendet werden müssen.

Ungarns Ziele: Ende der Inflation, steigende Reallöhne, BIP-Wachstum

Eine große Herausforderung für Ungarn war im Vorjahr die enorm hohe Inflation. Was tut Ungarn, um dieses Problem in den Griff zu bekommen?

Das war für uns die größte Herausforderung. Bis zum Dezember konnten wir die Inflationsrate auf 5,5 Prozent senken. Unser Ziel, sie zunächst in den einstelligen Bereich zu drücken, haben wir im Oktober geschafft. Heuer wollen wir sie weiter senken. Unser Plan ist überdies ein BIP-Wachstum von vier Prozent. Am wichtigsten war es, dass wir bis zum Jahresende wieder auf den Pfad steigender Reallöhne zurückgekehrt sind. Das haben wir ebenfalls erreicht. Es war ein schwieriges Jahr.

Peter Szijjarto (45) gelangte im Jahr 2002 für die Fidesz-Partei in das ungarische Parlament – als jüngster Abgeordneter. Nach dem Wahlerfolg der Fidesz im Mai 2010 wurde er zunächst Sprecher von Regierungschef Viktor Orban. Später hatte er den Vorsitz über mehrere Komitees rund um die Handelsbeziehungen Ungarns inne. Seit 2014 ist er ungarischer Außenminister.