Der Historiker Prof. Richard Landes befasste sich an der Boston University jahrzehntelang mit apokalyptischen Bewegungen. Seit 2000 gilt sein Interesse vor allem dem globalen Dschihadismus. Im Dezember erschien der erste Teil eines ausführlichen Interviews mit dem Forscher. Im zweiten Teil geht er auf jüngste Berichte seit dem Massaker der Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 ein. Überdies kritisiert er progressive Kräfte und postkoloniale Narrative.

Fake News produzieren wütende Unruhen – und somit neue Schlagzeilen

Sie kritisieren Fake News auf der palästinensischen Seite. Hat es Ihrer Meinung nach welche seit dem Massaker vom 7. Oktober gegeben?

Besonders bemerkenswert sind die Lügen über das Al Ahli Krankenhaus. Als eine Rakete der Dschihadisten auf dem Parkplatz des Spitals einschlug, den ferngesteuerten Treibsatz in die Luft sprengte und ein halbes Dutzend Autos beschädigte, behauptete die Hamas, dass ein israelischer Luftangriff das Krankenhaus getroffen und 500 Menschen getötet habe, und dass weitere aus den Trümmern gerettet werden müssten. Westliche Journalisten übernahmen die Berichte: „500 Tote bei israelischem Luftangriff auf Krankenhaus in Gaza, laut palästinensischen Quellen“.

Die New York Times übernahm sofort die Angaben der Hamas.

Der Bericht wurde zu einem kritischen Zeitpunkt veröffentlicht (der US-Präsident plante eine Reise nach Israel) und löste wütende Demonstrationen und Unruhen im Nahen Osten aus. Die Nachrichtenmedien berichteten darüber, ohne zu erwähnen, dass es dabei um Auswirkungen ihrer eigenen Berichterstattung ging – und die der pro-Hamas-Linke in der westlichen Welt. Das ist schockierender, sich selbst erfüllender Journalismus.

„Es ist eindeutig: Ein fehlgezündete palästinensische Rakete traf das Al-Ahli-Spital“

Wissen wir mit Sicherheit, wessen Rakete am 17. Oktober das Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza traf?  

Man muss sich nur den Krater ansehen.

Es handelt sich eindeutig um eine palästinensische Rakete und nicht um einen Angriff auf ein Krankenhaus, bei dem mehr als 500 Menschen „an Ort und Stelle“ getötet wurden. Welche spezifische Rakete? Von wo aus? Das sind ziemlich irrelevante Fragen. Auf den ersten Blick ist es klar, dass es sich um eine Fehlzündung handelte, von denen es viele gibt. Das verräterische Fehlen von Schrapnellen ist ein eindeutiges Indiz. Die einzige Möglichkeit, die palästinensische Version aufrechtzuerhalten, besteht darin, den Vorbehalt „Nun, bei diesem Detail sind wir uns nicht sicher“ hinzuzufügen. Jeder Blick auf die grundlegenden Beweise macht dies deutlich.

Israelische Quellen werden grundsätzlich in Frage gestellt

Kritiker behaupten, auch Israel habe Fake News produziert. So sei etwa fälschlicherweise behauptet worden, 40 israelische Babys wurden enthauptet. Der Vorwurf kursierte längere Zeit auf Social Media. 

Das ist typisch für dieses Genre. Erstens hat niemand in Israel gesagt, dass 40 Babys geköpft wurden; vielmehr wurden 40 Babys getötet und einige enthauptet. Aber die Hamas-Verniedlicher haben eine Kampagne gestartet, um alle israelischen Behauptungen als falsch abzutun.

Auch unter den verbliebenen Geiseln in den Händen der Hamas befinden sich noch Babys.

Hier ist das Reaktionsmuster genau das Gegenteil: Die Palästinenser behaupten, dass 500 Menschen im Krankenhaus getötet wurden, aber die korrekte Zahl ist 50, worauf die Antwort lautet: „Oh, nur 50? Jeder unschuldige Zivilist, der getötet wird, ist eine Tragödie“. Aber wenn die Israelis behaupten, dass 40 Babys getötet wurden, einige davon enthauptet, heißt es: „Wir sind nicht überzeugt von den Enthauptungen, alles, was Israel sagt, ist verdächtig.“ Die Weigerung, israelischen Quellen zu glauben und fotografische Beweise zu verlangen, zeigt, wie leichtgläubig die westlichen Nachrichtenmedien sind, wenn es um die Geschichten der Hamas über Al Ahli geht.

Fake News über die Tötung der Besucher des Musikfestivals

Eine weitere Behauptung nach dem Massaker war: Einige Besucher des Supernova-Musikfestivals seien versehentlich von den Israelische Verteidigungsstreitkräften (IDF) selbst aus Hubschraubern getötet worden.

Diese Behauptung stützt sich auf übertriebene Angaben der israelischen Zeitung Haaretz, die jedoch nur von einigen wenigen Toten durch „friendly fire“ sprach. Die Nachricht wurde dann aufgeblasen zu „Die IDF töteten die meisten Menschen“ und „Die IDF begingen die Gräueltaten, um die Hamas zu beschuldigen“. Diese Geschichte wurde von Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah und eingefleischten Israel-Hassern wie Max Blumethal und Chris Hedges verbreitet. Die Beweise zeigen nichts dergleichen.

„Seit der Zweite Intifada wird palästinensische Kriegspropaganda verbreitet“

Vor einem Jahr erschien Ihr Buch „Can ‚The Whole World‘ Be Wrong?“. Ist ihrer Meinung nach die anti-israelische, antisemitische und pro-dschihadistische Berichterstattung wirklich zum Mainstream geworden?

Ja. Seit dem Ausbruch der „Al-Aqsa-Intifada“ haben die Medien wiederholt palästinensische Kriegspropaganda verbreitet, israelische Dementis als „Propaganda“ behandelt und, wenn sie falsch lagen, Entschuldigungen gemurmelt, bevor sie die nächste palästinensische Behauptung aufgriffen, wonach Israelis hätten unschuldige Zivilisten getötet hätten.

Einschüchterung und „postkoloniale“ Narrative spielen eine wichtige Rolle

Das klingt ein bisschen übertrieben. Wie ist es dazu gekommen?

Ich habe ausführlich darüber geschrieben, insbesondere in Kapitel 9 meines Buches. Das jüngste Beispiel ist wie gesagt die fast uneingeschränkte Übernahme der lächerlichen Behauptungen über das Al Ahli durch die Hamas. In Wahrheit starben bei der Explosion auf einem Parkplatz – ohne Trümmer – möglicherweise 20 bis 50 Menschen. Selbst als die Beweise eintrafen, sprachen die Medien weiterhin von einer „massiven“ Explosion und nannten Zahlen im dreistelligen Bereich.

Wie ist es dazu gekommen?

Ich habe drei Faktoren ausgemacht. Erstens, die palästinensische Einschüchterung der Medien. Zweitens das „postkoloniale“ Narrativ, das sich Journalisten zu eigen gemacht haben (möglicherweise um ihre Unterwerfung unter palästinensische Forderungen zu verschleiern). Drittens, eine gewisse moralische Schadenfreude, die sowohl Journalisten als auch westliche „Progressive“ beim Anblick von Juden empfinden, die sich schlecht verhalten.

In letzter Zeit dachte ich jedoch, dass David Deutschs „The Pattern“ vielleicht am meisten Sinn ergibt. Er argumentiert, dass selbst Menschen, die Juden nicht verletzen wollen, ein übergeordnetes Bedürfnis verspüren, „die Verletzung von Juden zu legitimieren“.

Terrorkämpfer Hamas von den Qassam-BrigadenYousef Masoud/SOPA Images/LightRocket via Getty Images

Progressive wie Hippies in „Independence Day“: Bejubeln Außerirdische, die sie bald töten

Die Menschen in den westlichen Ländern mögen mit den Schultern zucken und sagen: Was geht uns das an? Dieser Konflikt ist ein israelisches Problem. Warum sollte es für den Westen gefährlich sein, anti-israelische Narrative zu übernehmen?

Ja, das ist eine gängige Antwort. Das Problem ist, dass Israel denselben Feind hat wie der Westen, nämlich den globalen Dschihad, oder wie ich es nenne, die „Kalifatoren“, nämlich Muslime, die glauben, dass ein globales Kalifat bald und in unseren Tagen entstehen wird. Die Hamas ist nicht nur an diesen globalen Bemühungen beteiligt, sie und andere Zweige der Muslimbruderschaft sehen Jerusalem als Hauptstadt dieses Kalifats. Westliche Journalisten verbreiten hier also die Propaganda ihrer eigenen Feinde als Nachrichten für ihr eigenes Publikum.

Dies zeigte sich beispielsweise, als die Europäer als Reaktion auf die Falschmeldung über ein Massaker in Dschenin im Jahr 2002 auf den Straßen ihrer Hauptstädte demonstrierten und einige der Demonstranten gefälschte Selbstmordgürtel trugen. Sie bejubelten den Selbstmordterror gegen Israelis, ohne zu wissen, dass die Anhänger dieses Todeskults auch den Westen ins Visier nehmen. Innerhalb weniger Jahre begannen die Selbstmordattentate von Dschihadisten gegen den Westen zuzunehmen.

Die „progressiven“ Kräfte im Westen erinnern an die Hippies im Film „Independence Day“, die auf dem Dach tanzten, um die Außerirdischen zu begrüßen, die sie bald in die Luft jagen würden – nur dass sie im Film nicht wissen konnten, was die Außerirdischen planten. Im wirklichen Leben sind alle Informationen – zum Beispiel über die völkermörderische Ideologie der Hamas – verfügbar, aber die Demonstranten haben nur Informationsquellen herangezogen, die ausdrücklich nicht über diese Dinge berichtet haben.

Richtlinien – etwa die Taten der Dschihadisten nicht als „Terrorismus“ zu bezeichnen, ihre Ideologie zu verschleiern und die Identität der muslimischen Angreifer so unauffällig wie möglich zu halten, dominieren die Berichterstattung. Die Deutschen, die versuchen, die Shoah „wiedergutzumachen“, haben 2015 mehr als eine Million überwiegend junger männlicher Muslime in ihr Land gelassen, offenbar nicht wissend, wie viele von ihnen ähnliche antisemitische Einstellungen wie die Nazis hatten und für den Aufruf zum Kampf für das Kalifat empfänglich waren.

In der Geschichte der modernen Nachrichtenmedien hat es noch nie einen so weit verbreiteten und langanhaltenden Fall von Kriegsjournalismus, der einem Eigentor dient, gegeben. Diese Berichterstattung über Israel dominiert seit nunmehr 23 Jahren die westlichen Nachrichten, und ihre negativen Auswirkungen auf die westlichen Demokratien sind deutlich sichtbar.

Das Zeichen (Bild) der Muslimbrüder ist in Österreich verboten. Die Hamas ist der palästinensische Zweig der international agierenden Muslimbrüder, die auch in Europa aktiv sind.

Postmoderne schuf Platz für antiwestlichen Totalitarismus

Ermöglichen es Trends in der zeitgenössischen Sozialphilosophie, antiwestlichen und totalitären Ideologien Fuß zu fassen?

Ja. Die Ironie besteht darin, dass die Begründer der Postmoderne glaubten, dass sie durch die Infragestellung des westlichen Narrativs und die Offenheit gegenüber anderen Narrativen den Weg zum Totalitarismus bekämpfen (siehe Jean-Francois Lyotard, Das postmoderne Wissen). Doch als der Postkolonialismus den Angriff auf den Westen als Waffe einsetzte, indem er die Anschuldigungen der Kolonisierten akzeptierte, machte er sich letztlich die große Erzählung anderer Kulturen zu eigen. Genauer gesagt übernahm er die apokalyptische Erzählung der Kalifen, derzufolge die USA und Israel die beiden „Satane“ der Weltgemeinschaft sind. Judith Butler, die Königin der Queer-Theorie, konnte Hamas und Hisbollah als Teil der „globalen progressiven Allianz“ willkommen heißen und trotzdem den Adorno-Preis erhalten.

Die US-Philosophin Judith Butler von der University of California ist wichtige Wegbereiterin der Queer-Theorie. Hamas und Hisbolla sind für sie keine Terrororganisationen.Paco Freire/SOPA Images/LightRocket via Getty Image

Geistes- und Sozialwissenschaftler sind am ehesten bereit, den Forderungen des Kalifen nachzukommen. Zunächst hielten sie sich für mutig, doch als der globale Dschihad im 21. Jahrhundert seine Angriffe auf die Demokratien begann, wachten sie nicht auf, sondern gaben nach. Heute wird das Versagen der Bildung in US-Eliteinstitutionen schmerzlich deutlich.

„Völliges Versagen der höheren Bildungseinrichtungen“

Unter den Anti-Israel-Demonstranten befanden sich nicht nur Migranten aus dem Nahen Osten. Sehen Sie mehr als 20 Jahre nach 9/11 hier eine Niederlage des Westens?

Jüngste Umfragen zeigen: Fast 60 Prozent der Amerikaner zwischen 18 und 26 Jahren glauben, dass der Hamas-Angriff vom 7. Oktober gerechtfertigt war, und fast 50 Prozent glauben, dass es in Ordnung ist, in Gaza offen schwul zu sein (!). Dies ist ein gutes Beispiel für die Wirksamkeit der palästinensischen Klageerzählung und das völlige Versagen der höheren Bildungseinrichtungen.

20 Jahre lang hatte ich mich damit getröstet, dass es ein Erwachen geben würde, sobald Beweise für den völkermörderischen Terror der Hamas die Fassade von „Menschenrechte und Freiheit für die Palästinenser“ niederreißen würden. Dass so viele vermeintlich fortschrittliche Studenten nach dem 7. Oktober zur Unterstützung einer solch monströsen Bewegung marschieren konnten, zeigt: Die Durchdringung der dschihadistischen Propaganda ist gewaltig, erhebliche Teile der Bevölkerung im Westen sind durch den Feind einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Man denke nur an die verrückte Begeisterung einiger junger Menschen für Osama bin Ladens „Brief an das amerikanische Volk“.

Islamphobie-Aktivisten ermöglichen Islamisten, ungehindert Antisemitismus zu verbreiten

Sehen Sie Parallelen zwischen antizionistischen Narrativen und Islamophobie-Anschuldigungen, die Kritiker des Islamismus an den Pranger stellen?

Sicher, es ist ein umgekehrtes Muster. Alles, was antizionistisch ist, egal wie unwahr und sadistisch, ist legitime Kritik, die die Juden zu unterdrücken versuchen, indem sie solche Kritik als Antisemitismus bezeichnen. Alles, was den Islam betrifft, egal wie wahr und wenig schmeichelhaft, ist islamfeindlich und darf nicht geäußert werden. Diese tödliche Kombination erlaubt es Islamisten, ungehindert dem schlimmsten Antisemitismus zu frönen und jedem zu verbieten, sie zu kritisieren. Das Ergebnis ist heute an westlichen Universitäten zu sehen, auch in Deutschland.

Bilder der Nachrichtenagenturen müssten überprüft werden

Wie sollte sich der Westen gegen diese Propaganda wehren?

Solange Medien feindliche Propaganda als Nachrichten verbreiten, machen sie ihre Gesellschaften buchstäblich krank. Eine Organisation, die die Verwendung fragwürdiger Bilder von palästinensischen und anderen muslimischen Kameraleuten überprüft, muss Zugang zu den Aufnahmen haben, aus denen die Medien ihre Berichte zusammenstellen. Allein das Wissen, dass jemand sie überprüfen könnte, würde diese Nachrichtenagenturen aufrütteln. Momentan ist die Situation absurd. BBC-Reporter Jeremy Bowen kann von einer israelischen Bombe sprechen, die Al Ahli „platt macht“, und kein Bedauern zeigen, wenn sich herausstellt, dass er sich dramatisch „geirrt“ hat.

In ähnlicher Weise muss die westliche Öffentlichkeit hören, was fast alle Israelis (nicht nur die „progressiven“) zu sagen haben. Derzeit wird alles, was rechts von der linken Mitte liegt, als rechter, islamfeindlicher, rassistischer Diskurs betrachtet, und BBC, CNN, France24, Deutsche Welle neigen alle dazu, palästinensische Sprecher, die Israel der Kriegsverbrechen und des Völkermords beschuldigen, und Israelis, die ihnen zustimmen, zusammenzubringen. Der Kreis der Personen, die von Nachrichtenagenturen interviewt werden, muss erheblich erweitert werden.

Eine noch größere Aufgabe wäre das für Universitäten und NGOs – und das wäre Thema für ein eigenes Interview.

Prof. Richard Landes

Prof. Richard Allen Landes, Jahrgang 1949, ist ein amerikanischer Historiker und Autor. Er studierte an der Princeton University und war bis 2015 Professor für Geschichte an der Boston University. Seit 2015 ist er Senior Fellow am Zentrum für internationale Kommunikation der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan, Israel.

Seine Forschung konzentrierte sich zunächst auf apokalyptische Überzeugungen im Mittelalter rund um das Jahr 1000. Seit mehr als 20 Jahren befasst sich Prof. Landes zunehmend mit zeitgenössischen religiösen Bewegungen, vor allem mit dem Globalen Dschihad und der Reaktion darauf. In seiner Arbeit analysiert er Manipulationen in den Medien, vor allem im Zusammenhang mit dem Nahen Osten und mit Israel.

Landes prägte den Begriff „Pallywood“, um Film-Inszenierungen von Palästinensern zu beschreiben, die Eingang in westliche Medienberichte finden. In seinem Blog „The Augean Stables“ zeigt er auf, wie westliche Nachrichtenmedien den Dschihad anheizen, insbesondere durch ihre Berichterstattung über den Nahostkonflikt.

Im November 2022 erschien Landes’ Buch „Can ‘The Whole World’ Be Wrong?: Lethal Journalism, Antisemitism, and Global Jihad (Antisemitism in America)”.