Deutschland steckt in einer Wirtschaftskrise und muss sich gleichzeitig in einer veränderten Geopolitik womöglich neu orientieren. Über diese Herausforderungen sprach der eXXpress mit dem anerkannten Soziologen und Politikwissenschaftler Prof. Erich Weede. Der emeritierte Lehrstuhlinhaber an der Universität Bonn befasste sich in unzähligen Schriften mit Kriegsursachen, Einkommensverteilung und Zivilisationsvergleichen. Kürzlich reiste er nach Wien, wo ihm der Hayek-Lifetime Achievement Award vom Hayek-Institut für sein Lebenswerk verliehen wurde. Bei dieser Gelegenheit sprach der eXXpress mit dem deutschen Politologen.

Der Wirtschaftskrieg mit Russland hat viele Nachteile für die deutsche Volkswirtschaft

Momentan befindet sich Deutschland in einer Rezession. Worauf führen Sie das zurück?

Ich sehe einen engen Zusammenhang mit dem Wirtschaftskrieg gegen Russland, der Europas und vor allem Deutschlands Energieabhängigkeit von Russland in die Nähe von Null bringen soll. Das schadet zwar nicht den USA, die nie von russischen Energielieferungen abhängig waren, wohl aber den Europäern und den Deutschen im Besonderen. Es gibt eine natürliche Komplementarität zwischen dem russischen Überfluss an Erdöl und Gas und dem Bedarf der europäischen Industrie.

Vor Russlands Ukraine-Invasion kam es zu beiderseitig vorteilhaften Geschäften. Die Russen brauchten Devisen, die sie von uns bekamen, und wir erhielten Öl und Gas von den Russen, das preiswerter und umweltschonender war als etwa Flüssiggas, das mit Schiffen transportieren wird und dann regasifiziert werden muss. Kurz: Der Wirtschaftskrieg hat offensichtlich Nachteile für die europäischen Volkswirtschaften, wobei die deutsche besonders stark betroffen ist, vielmehr als die französische, denn die war nicht so unvernünftig aus der Atomenergie auszusteigen.

„Wir erleben die Spätfolge einer unvernünftigen Wirtschaftspolitik, die wir Merkel verdanken“

Deutschland ist mitschuld an seinen speziellen Problemen?

Die Grünen haben alle anderen Parteien, mit Ausnahme der AfD, vor sich hergetrieben. Deshalb vollzog die CDU unter Angela Merkel den Doppelausstieg aus Atomenergie und Kohle, womit wir die Abhängigkeit von Russland oder von ferneren Lieferanten erhöht haben. Wir erleben die Spätfolge einer unvernünftigen Wirtschaftspolitik, die wir Merkel zu verdanken haben.

Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist an jetzigen Wirtschaftsnöten Deutschlands wesentlich mitschuldig.APA/AFP/POOL/Michael Kappeler

Vorübergehend sind aufgrund des erzwungenen Ausstiegs aus russischen Energielieferungen die Energiepreise durch die Decke gegangen. Nun sind sie wieder rückläufig, aber einige Produktionen sind abgewandert, etwa in der chemischen Industrie. Die werden vermutlich nicht wiederkommen. Die Unsicherheit über künftige Energiepreise in Deutschland und in Europa ist natürlich höher als die Unsicherheit bei unseren amerikanischen oder chinesischen Konkurrenten.

Deutschland ist viel stärker von den USA abhängig als Frankreich

Ist Merkel wirklich schuld? Sie setzte vor der Ukraine-Invasion auf russisches Gas. Das war zumindest eine stimmige Strategie.

Das ist mehr das Verdienst von Gerhard Schröder. Merkel hat nur zeitweilig die Schrödersche Strategie gedeckt, die schon vorher begonnen hat. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ließ sich das nicht mehr durchhalten. Die frühzeitige deutsche Unterordnung unter die Wünsche unserer westlichen Verbündeten dürfte alternativlos gewesen sein, denn wir sind von unseren westlichen Wirtschaftspartnern in wesentlich höherem Ausmaß abhängig als vom Handel mit Russland oder mit China.

Deutschland verdankt die billigen Erdgas-Import Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD), sagt Prof. Weede.APA/AFP

Sehen Sie Frankreichs Situation anders als jene Deutschlands?

Deutschland ist in einem höheren Maße von den USA abhängig als Frankreich und zwar aus drei Gründen. Erstens ist Frankreich eine Atommacht und damit in einer sicherheitspolitisch besseren Lage. Die französische Atommacht reicht für die Abschreckung eines direkten Angriffs auf das französische Kernland aus. Zweitens ist Frankreich in einer wirtschaftspolitisch besseren Lage dank der preiswerten Atomenergie. Drittens ist die Struktur der französischen Volkswirtschaft eine andere. Deutschland war lange Exportweltmeister. Damit sind wir von der globalen Verflechtung in einem höheren Ausmaß abhängig als Frankreich.

In der Phase der Globalisierung war Deutschlands enge Verflechtung mit den Weltmärkten ein Vorteil. Doch von einer Fragmentierung der Weltmärkte – ob durch den Wirtschaftskrieg gegen Russland oder durch einen aufziehenden Konflikt zwischen den USA und China – ist Deutschland viel stärker betroffen als Frankreich. Der ehemalige Vorteil droht in einen Nachteil umzuschlagen.

„Wirtschaftspolitisch sind die Grünen das Hauptproblem“

Der zweite Grund ließe sich am schnellsten korrigieren: Deutschland könnte wieder zur Atomkraft zurückkehren.

Hier haben wir ein politisches Problem. Die deutsche Politik ist durch rückwärtsgewandte Tabus gekennzeichnet. Ich meine den bisherigen Konsens aller Parteien, nicht mit der AfD zu koalieren, weil deren Mitglieder als Nazis gelten. Natürlich gibt es dümmliche Äußerungen von einzelnen AfD-Politikern zur deutschen Vergangenheit. Die Vorwürfe sind nicht ganz unbegründet. Nur das Unrecht des Dritten Reiches liegt in der Vergangenheit und lässt sich nicht rückgängig machen. Für mich ist das entscheidende Kriterium: Was kann man mit welcher Partei heute machen?

Unter dem Gesichtspunkt einer vernünftigen Wirtschaftspolitik ist nicht die AfD das Hauptproblem, denn mit ihr ließe sich die Atomkraft wiederbeleben. Dafür hat sie sich ja explizit ausgesprochen. Das Hauptproblem sind hier die Grünen. Wenn man vorwärts blickt, halte ich es für nötig, eine Regierung ohne die Grünen zu bilden, die unbedingt auf Atomkraft setzt. Denn grüner Strom ist Flatterstrom, mal reichlich verfügbar, dann wieder nicht verfügbar, unabhängig von der Nachfrage. Ich halte das für eine ganz entscheidende Frage für die Zukunft der deutschen Industriewirtschaft. Daher würde ich eine Regierung aus CDU, FDP und AfD befürworten.

Auch der SPD kam die wirtschaftliche Vernunft abhanden

Hätten Sie keine Angst, dass mit der AfD Kräfte an die Macht kämen, deren Ansichten nach 1945 für Deutschland nicht mehr tolerierbar sind?

Man muss der AfD ja nicht gleich das Außen-, Verteidigungs- oder Justizministerium übergeben. Ich denke, die AfD wäre bereit, für ihren Ausbruch aus der jetzigen Ächtung einen gewissen politischen Preis zu zahlen. Die eine oder andere dümmliche Äußerung zur Vergangenheit würde verschwinden. Selbst wenn veränderte Verhaltensweisen anfangs mehr Getue als Überzeugung sind, bewirken sie nach einer Weile auch Änderungen im Denken. Auch Heuchler haben die Neigung, sich nach einer Weile selbst zu überzeugen.

AfD-Chefin Alice Weidel: Zurzeit wächst in Deutschland der Zuspruch für die rechte Oppositionspartei.

Deutschland stand auch vor 20 Jahren vor schweren wirtschaftlichen Herausforderungen. Damals setzte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Agenda 2010 durch. Warum bezweifeln Sie, dass heute eine Koalition ohne AfD zu solchen wirtschaftspolitischen Reformen fähig ist?

Damals gab es noch Anfälle wirtschaftlicher Vernunft in der SPD. Schröder hatte verstanden, dass man beim Ausbau des Sozialstaates nicht über die Leistungsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaft hinausgehen darf. Die jetzige SPD-Führung hat diese Einsicht vergessen, ebenso die Grünen, die de facto immer links von der SPD waren. Ich denke, dass eine verantwortliche Haushaltspolitik weder mit den Grünen noch mit der SPD möglich ist. Beide Parteien gehören dringend in die Opposition, damit sie eine Chance haben, wieder zu Vernunft zu kommen.

Der SPD-Führung ist die ökonomische Vernunft verloren gegangen, kritisiert Prof. Weede. Im Bild: Kanzler und SPD-Chef Olaf Scholz.

„Die Verflechtung von Klimaforschung und Politik beunruhigt mich“

Was halten Sie von der Klimapolitik? Ist eine marktliberale Klimapolitik möglich? Oder sehen Sie Klimapolitik grundsätzlich skeptisch?

Beides. Ich bin kein Naturwissenschaftler. Zur Frage der Gefährdung des Klimas und der Menschheit durch steigende CO2-Missionen bin ich nicht urteilsfähig. Was mir allerdings auffällt: In gängigen Medien wird der Eindruck erweckt, als sei für Naturwissenschaftler die Frage entschieden, was andererseits bekannte Naturwissenschaftler bestreiten. Zu ihnen gehört etwa auch der Physiker Steven Koonin, der immerhin in der Obama-Administration bei der Klimapolitik mitgewirkt hat. Solche Stimmen sollten man für zurechnungsfähig halten. Deshalb sind Zweifel an der dominanten Auffassung der Klimaforscher angebracht. Mein Eindruck: Durch die enge Zusammenarbeit von Politik und Wissenschaft wird in der Klimafrage mehr Konsens nach außen erzeugt, als eigentlich da ist. Thomas Kuhn, der Historiker der Naturwissenschaften, sagte: Der Erfolg der westlichen Wissenschaft beruht im Wesentlichen darauf, dass Wissenschaft und Politik scharf getrennte Lebensbereiche sind. Die Verflechtung von Klimaforschung und Politik beunruhigt mich.

Klimawandel: Wie ernst ist die Lage wirklich und was kann der Mensch tun?

Letztlich könnte es aber sein, dass der von der Politik unterstützte Mainstream der Klimaforschung Recht hat. Dann müssten wir das CO2-Problem möglichst kostengünstig in den Griff kriegen. Dann müsste es einen Preis für CO2-Emissionen geben, der für alle großen Emittenten gilt. Wenn kleine Länder wie Bolivien nicht mitmachen, verträgt das die Welt. Große Länder wie China, Indien, Russland müssten neben dem Westen dabei sein, andernfalls ist das Problem nicht zu lösen. China produziert allein ungefähr so viele Emissionen wie die ganze westliche Welt zusammen.

Von Deutschland als Musterschüler halten Sie nichts?

Die Idee von Deutschland als Musterschüler finde ich gar nicht schlecht, nur ist sie ganz blödsinnig realisiert. Für die Grünen bedeutet es, dass wir möglichst viel einsparen, aber nicht, dass wir möglichst viel möglichst kostengünstig einsparen. Wir können vor allem für ärmere Länder nur dann als Vorbild wirken, wenn unser Weg zu sauberer Energie so preiswert ist, dass ihn andere auch aus finanziellen Gründen nachmachen. Das hat Deutschland nie versucht.

Hauptgegner der USA ist China – Russland ist eine absteigende Weltmacht

Zurück zu Russland: Zunächst hat Wladimir Putin die Invasion mit falschen Erwartungen begonnen, wie wir heute wissen. Hatte umgekehrt der Westen überzogene Erwartungen an die Sanktionen?

Überzogene Erwartungen gab es in Deutschland, aber nicht in den USA, wenn ich an das denke, was US-Medien wie Foreign Affairs und National Interest geschrieben haben. Die amerikanischen Eliten wussten: Sanktionen wirken langsam. Kein vernünftiger Mensch konnte glauben, dass die russische Volkswirtschaft, die immer viel autarker war als westliche Volkswirtschaften, einfach zusammenbricht. Von Anfang an war überdies klar: China wird Sanktionen gegen Russland nicht unterstützen, sondern helfen, sie zu unterlaufen, und auch Indien wird nicht mitmachen.

Aus geopolitischen Gründen beurteile ich die Sanktionen eigentlich negativ, denn der Hauptgegner der Amerikaner ist auf lange Sicht China. Noch spielt Russland als einzige Atommacht in der gleichen Liga wie die USA. Noch dürfte das Verhältnis der Atomwaffen zwischen Russland und China im Verhältnis von zehn zu eins zugunsten Russlands liegen. Doch bei der Wirtschaftskraft ist das Verhältnis zehn zu eins zugunsten Chinas. Bei der langfristigen Finanzierung von Streitkräften und Atomstreitkräften wird China die Nase vorne haben. Russland kann wegen seiner ökonomischen Schwäche auf Dauer nicht der Hauptgegenspieler der USA sein. Es ist eine absteigende Weltmacht. Das lässt sich nicht verhindern. Russland ist demografisch ähnlich schwach wie Deutschland. Überdies ist es kein Einwanderungsland und die russische Volkswirtschaft wächst zwar trotz Sanktionen in diesem Jahr schneller als die deutsche, aber normalerweise wächst die russische Volkswirtschaft viel langsamer als die chinesische oder die amerikanische. Russlands wirtschaftliches Gewicht nimmt ab und ab und ab. Mit diesem Wirtschaftskrieg machen wir Russland zu einem chinesischen Satelliten. Das möchte Putin nicht. Diese Politik des Westens verhilft den Chinesen zu einer Einflusssphäre bis nach Petersburg und Königsberg. Das kann man für einen politischen Erfolg halten. Ich halte es für eine Eselei.

Langfristig sitzt Washingtons Konkurrent in Peking, nicht in Moskau, sagt Prof. Weede. Im Bild: die Staatschefs Xi Jinping (l.) und Joe Biden (r.).

„Zurzeit höchstens ein Waffenstillstand nach koreanischem Vorbild erreichbar“

Absteigende Großreiche sind in der Regel gefährlicher als aufsteigende. Wie sollte man sich richtigerweise gegenüber Russland verhalten?

Eine Versöhnung zwischen Kiew und Moskau ist nicht zu erwarten, ein Sieg der einen oder der anderen Seite auf dem Schlachtfeld in absehbarer Zeit auch nicht. Der Frontverlauf dürfte sich in den kommenden zwei Jahren kaum ändern. Das Beste, was zu erreichen ist, dürfte kein Frieden sein, aber ein Waffenstillstand nach koreanischem Vorbild. Dann würde das Sterben auf beiden Seiten aufhören und die Eskalationsgefahr zum Atomkrieg wäre geringer als gegenwärtig.

Solange der Ukraine-Krieg anhält, ist die Gefahr eines Atomkriegs deutlich höher.APA/Getty

Würden hingegen die Wunschträume der „Bärböcke“ wahr und die Ukraine würde in der Ost-Ukraine und der Krim einmarschieren, dann würde ich damit rechnen, dass Russland auf die nukleare Stufe eskaliert. Und mittlerweile sind die Bande zwischen der Ukraine und dem Westen so eng geworden, dass dann möglicherweise auch der Westen seinerseits eskalieren würde. Es droht ein nuklearer Schlagabtausch zwischen Russland und dem Westen. Diese Gefahr ist größer als vor einem Jahr. Ich glaube, vor allem nicht atomare Länder wie Deutschland unterschätzen das Eskalationsrisiko gewaltig.

Erich Weede befürchtet: Annalena Baerbocks (Bild) Träume vom Einmarsch der Ukraine in der Krim könnten eine nukleare Antwort Putins auslösen.

„Ohne die USA wird sich Europa nicht getrauen, die Ukraine militärisch zu unterstützen“

Könnten andere geopolitische Veränderungen den Kriegsverlauf verändern?

Ich sehe zwei Einflüsse. Erstens schwächt der Krieg zwischen der Hamas und Israel die Ukraine. Auch die Israelis brauchen amerikanische Hilfe, also Geld, Waffen und vor allem Munition. Gegenwärtig wird im Westen zu wenig Munition für zwei große Kriege produziert. Was Israel erhält, kann die Ukraine nicht bekommen. Die amerikanische Bereitschaft Israel zu unterstützen ist offenbar deutlich größer, als die Bereitschaft die Ukraine endlos zu unterstützen, vor allem in der republikanischen Partei.

Zweitens könnte Donald Trump oder ein anderer Neo-Isolationist der Republikaner US-Präsident werden. Dann hat Putin den Krieg gewonnen, denn ohne die USA wird sich Europa in Anbetracht seiner nuklear-strategischen Schwäche nicht trauen, die Ukraine militärisch noch mehr zu unterstützen. Dann hat die Ukraine die Chance verpasst, einen Waffenstillstand in der Nähe der gegenwärtigen Front zu erreichen. Dazu würde Putin dann nicht mehr bereit sein. Vermutlich würde er wieder sein ursprüngliches Ziel verfolgen, nämliche nicht nur eine verkleinerte Ukraine, sondern die Errichtung eines Satellitenregimes in Kiew.

Mit Donald Trump als neuem US-Präsidenten könnten sich die Aussichten für die Ukraine im Krieg deutlich verschlechtern.REUTERS/Marco Bello/File Photo

„Auch bei einer ‚koreanischen Lösung‘ kann die Ukraine nicht EU-Mitglied werden“

Könnte das Russland nicht sehr teuer kommen bei einer feindlich eingestellten Bevölkerung?

Eine feindlich eingestellte Bevölkerung gab es auch während des Kalten Krieges in Polen. Damit konnte Sowjet-Russland gut leben und das würde es auch jetzt. Aus russischer Sicht wäre es weit besser, wenn der Ukraine das Bündnis mit dem Westen verwehrt bleibt, wenn die USA unter einem isolationistischen Präsidenten an Kiew desinteressiert sind, und Westeuropa aus Angst vor der russischen Atommacht still hält. Der gegenwärtige Zustand läuft ja darauf hinaus, dass zumindest die Restukraine mit ihren immerhin 80 Prozent der Fläche und Bevölkerung des Landes auf dem Weg in die NATO ist. Verglichen damit ist ein zwangsneutralisiertes Land mit einer feindlichen Bevölkerung und einer abhängigen Regierung doch ein großartiger Erfolg für Moskau.

Europas Ukraine-Politik ist von Illusionen getrieben, kritisierte Prof. Erich Weede (Bild) bereits im Jahr 2022 im eXXpress-Interview.

Soll der Westen mit Russland verhandeln – je früher, je besser?

Ich denke, das Beste, was aus westlicher Sicht erreichbar ist, wäre die koreanische Lösung, ein Waffenstillstand auf der Basis des Status quo. Für den Fall, dass Donald Trump US-Präsident wird, wird die koreanische Lösung nicht mehr im Angebot sein. Ob sich Putin jetzt darauf einlässt, weiß ich nicht. Es könnte sein, dass er weiterkämpft, um die amerikanischen Wahlen abzuwarten. Auch im Falle der koreanischen Lösung gäbe es keine EU-Mitgliedschaft für die Ukraine. Wenn nämlich die westlichen 80% der Ukraine an die EU angeschlossen werden, dann ist sie aus russischer Sicht gewissermaßen in der „Vorhölle“ der NATO. Das wird Putin nicht zugestehen.

Prof. Dr. phil. Erich Weede (82) ist emeritierter Professor der Soziologie der Universität Bonn. Er studierte Psychologie an der Universität Hamburg und absolvierte ein Zweitstudium der Soziologie und der Politikwissenschaft an den Universitäten Bochum, Mannheim und Northwestern (Illinois, USA). 1970 Promotion und 1975 Lehrbefugnis in Politischer Wissenschaft an der Universität Mannheim – beides Untersuchungen im Bereich der (quantitativen) Kriegsursachenforschung. 1978 bis 1997 Professor für Soziologie an der Universität Köln, danach bis 2004 ordentlicher Professor für Soziologie an der Universität Bonn.